„Jemand, den ich liebte, schenkte mir mal eine Kiste voll Dunkelheit.

Ich brauchte Jahre, um zu verstehen, dass auch das ein Geschenk war.“

- Mary Oliver

 

Eine Nuss fiel geräuschlos von einem Baum zur Erde und beinahe zeitgleich landete ein kleines, rotbraunes Eichhörnchen daneben, dass sich die Nuss schnappte und mit seinen großen Zähnen begann daran herum zu knabbern. Wildes Stimmengewirr drang an meine Ohren und ich beobachtete, wie verschiedene Menschen mit schweren Einkaufstüten bepackt durch die überfüllten Straßen liefen, miteinander redeten, lachten und die steigenden Temperaturen des Sommers genossen. Es war ein herrlicher Tag, sowohl für Mensch, als auch Tier und jeder hatte sich scheinbar fest vorgenommen, diesen zu genießen. Zumindest jeder, außer ich.

„Fey, schmeckt es dir nicht?“, riss mich eine sanfte Stimme aus den Gedanken und verwirrt blickte ich zu meiner Freundin auf, die mich mit einem besorgten Blick musterte. Ich schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln, ergriff den großen Löffel, der vor mir auf dem Tisch lag und tauchte ihn tief in meinen Eisbecher hinein. Erdbeereis mit Schokoglasur, Zuckerstreuseln und einer Kirsche obendrauf. Für die einen war das die reinste Kalorienbombe, für die anderen wohl ein willkommener Festschmaus. Mir selbst kam es jedoch vor, wie eine kleine Henkersmahlzeit, sodass ich es nicht einmal schaffte, diesen Eisbecher vollends zu genießen.

„Doch natürlich“, beteuerte ich jedoch und steckte mir einen vollgeschaufelten Löffel Eiscreme in den Mund. Es reichte schließlich, dass meine eigene Laune am absoluten Tiefpunkt angelangt war und ich wollte nun nicht auch noch meiner Freundin den Tag versauen. Iris‘ Gesichtszüge schienen sich daraufhin schlagartig aufzuhellen und ihre herzlichen, großen Augen funkelten mir verschmitzt entgegen.

„Ein Glück“, flüsterte sie erleichtert und hielt sich gespielt theatralisch die Hand vor die Brust, „Und ich dachte schon du magst keine Eiscreme.“

Ich konnte nicht anders als ihr warmherziges Lächeln zu erwidern, denn Iris war eine meiner wenigen Freunde und ihre sanfte, freundliche Art gab mir ein gutes Gefühl von Verständnis und Zugehörigkeit. Für einen Außenseiter wie mich stellte das schließlich nicht gerade eine Selbstverständlichkeit dar.

Ich beobachtete sie dabei, wie sie selbst einen großen Löffel ihres Eisbechers verputzte und anschließend gedankenverloren mit einer lockeren Strähne ihres langen Haares spielte.

Deprimiert beobachtete ich sie dabei und musste wieder einmal feststellen, dass Iris durchaus ziemlich hübsch war. Sie hatte eine gute Figur, eine angenehme Körpergröße, helle, türkise Augen, die schon nahezu jeden in ihrer Umgebung freundlich anzufunkeln schienen und kräftiges, orangenes Haar, dass sie stets zu einem seitlichen Zopf gebunden trug. Auch, wenn sie meistens eher zurückhaltend und manchmal sogar schon ziemlich schüchtern auftrat, war es keine Seltenheit, dass andere Menschen ihr bewundernd hinterher sahen. Iris jedoch nahm davon bisher überhaupt keine Notiz. Sie war sehr bescheiden und hegte teilweise so große Selbstzweifel, dass es für sie einer Unmöglichkeit gleich kam, dass andere Menschen sie bestaunen, oder teilweise sogar bewundern könnten. Ich jedoch nahm dies sehr wohl wahr und musste mir teilweise sogar eingestehen, eifersüchtig auf meine Freundin zu sein. Denn während man ihr anerkennend hinterherblickte, hatten die Menschen für mich eher verachtende als schmachtende Blicke übrig. Das hieß, wenn sie mich überhaupt bemerkten….

Plötzlich stieß Iris jedoch deprimiert die Luft aus und ich zog irritiert eine Augenbraue hoch.

„Was ist los?“, fragte ich alarmiert, jedoch ließ sie nur geknickt die Schultern hängen.

„Tut mir leid“, murmelte sie, „Ich habe nur gerade an diese verdammte Matheprüfung gedacht, die uns bevorsteht.“

Ich konnte mir ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen, schließlich wusste ich, dass Iris mit der Mathematik ziemlich auf Kriegsfuß stand. Sie war zwar ein freundliches, aufgeschlossenes und schulisch auch sehr ambitioniertes Mädchen, jedoch schien sie gerade mit den Naturwissenschaften so ihre Schwierigkeiten zu haben und allein die geringste Ankündigung einer eventuellen Leistungskontrolle konnte sie so in Panik versetzen, als hänge ihre gesamte Zukunft nur von dieser einen Prüfung ab.

„Mach dir keine Gedanken“, versuchte ich sie aufzumuntern. „Wenn du möchtest, können wir vorher ja noch einmal zusammen lernen“, versprach ich und bemerkte, wie sich ihre Züge erleichtert aufhellten und dankbar strahlte sie mir entgegen.

„Wirklich?“, fragte sie hoffnungsvoll, denn uns war beiden bewusst, dass meine Noten nicht gerade die schlechtesten waren. So war es halt, sie hatte das Aussehen und ich das Hirn. Logisch betrachtet war das vielleicht sogar ganz fair verteilt, wobei ich gegen eine Mischung aus beiden auch nicht wirklich etwas einzuwenden gehabt hätte.

„Natürlich“, beteuerte ich und lächelte ihr ermutigend entgegen.

„Ich danke dir Fey, du bist die Beste“, rief sie laut aus und schaufelte sich fröhlich eine erneute Portion Eiscreme in den Mund.

„Die Eisbecher bezahle übrigens ich“, sagte sie plötzlich und ich blickte ihr verwundert entgegen. Bevor ich jedoch nach dem Grund fragen konnte, meinte sie schon: „Sieh es einfach als kleines Dankeschön für das Lernen an. Außerdem ist es doch nur richtig… Du hast schließlich heute Geburtstag…“

 

Es war mittlerweile schon ziemlich spät und die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, als ich den Heimweg antrat, langsam die Straßen entlangbummelte und den sanften Abendwind genoss. Die vergangenen Stunden in dem kleinen Café mit Iris hatten mir gut getan und meiner Laune wieder etwas Aufschwung verliehen, doch mit jedem Schritt, den ich nun in Richtung meines Zuhauses zurücklegte, stieg mein Unmut erneut an. Ich wusste schließlich, was mich dort erwarten würde.

Ich verlangsamte meine Schritte erneut und blieb letzten Endes vor einer großen, beleuchteten Fensterfront eines Klamottenladens stehen.  Auf dem Logo über dem Laden prangte in großer, sauberer Schrift: ESCADA, eine sehr bekannte, aber auch überaus teure Bekleidungsmarke, doch das interessierte mich gerade herzlich wenig. Mein Blick schweifte zu dem übergroßen Schaufenster, in denen zahlreiche, kahlköpfige Figuren in verschiedenen Posen standen und das neuste Sortiment der aktuellen Modelinie zur Schau stellen sollten.

Mein Blick blieb jedoch nicht an den dargestellten Kleidungsstücken hängen, sondern vielmehr an meinem Spiegelbild, das sich immer deutlicher in der Scheibe abzubilden schien.

Ich hatte eine gute Figur, stellte ich zuversichtlich fest, jedoch war das auch das einzig Positive, was ich an meinem Äußeren feststellen konnte und somit reichte das natürlich nicht einmal annährend um das Negative wett zu machen. Meine langen, auffällig orangenen Haare brachten mir alleine schon viele schiefe Blicke ein, denn im Vergleich zu Iris‘ leuchtender Haarpracht, wirkten sie stumpf, matt und leblos. Durch die helle Farbe fiel ich ungewollt auf und nicht nur einmal war mir der Gedanke gekommen, sie mir einfach umzufärben oder sie gar gänzlich abzurasieren, doch weder das eine, noch das andere stellte für mich eine passable Alternative dar. Nach dem ersten Färbeversuch hatte ich nämlich schmerzlich feststellen müssen, dass ich allergisch auf die Chemikalien in der Farbe reagierte und musste anschließend mit schrecklich juckenden Pickeln und Pusteln auf der Kopfhaut rumrennen, während sich meine Haare nicht einmal verändert hatten.

Sie abzurasieren war leider auch keine gute Alternative, denn damit würde ich vielleicht erreichen, dass man mich nicht mehr aufgrund meiner Haare anstarrte, allerdings bot sich mir somit auch nicht mehr die Möglichkeit, mein Gesicht vor den verachtenden Blicken zu verstecken. Denn wirklich ansehnlicher war dies nun auch nicht wirklich. Meine Haut war derart unrein, dass ich fast das Gefühl hatte, es gäbe in meinem Gesicht nicht eine einzige überdimensionale Pore, die nicht mit einem fetten Pickel besetzt wurde. Ich hatte zwar ein relativ schmales Gesicht, jedoch stand dies im starken Kontrast zu meiner viel zu großen, leicht schiefen Nase und meine große Stirn bot dem ganzen noch den letzten Schliff. Das Auffälligste an meinem Gesicht waren jedoch meine großen, blauen Augen. Ich konnte mich nur noch schwach an meine Kindheit erinnern, das meiste wusste ich nur noch von alten Familienfotos, aber ich glaubte mich fest daran zu erinnern, dass sie früher vor Lebensfreude schon nahezu geleuchtet hatten. Von diesem Funkeln war jedoch nicht mehr viel übrig und somit wirkten sie beinahe genauso matt und leblos, wie meine Haare.

Deprimiert ließ ich die Schultern sinken. Es war einfach egal, was ich tat, wie viel Kosmetik-Creme’s ich ausprobierte, die angeblich Wunder bewirken sollten, oder wie viel Make-Up ich auflegte. Ich konnte einfach nicht verstecken, wer ich wirklich war und mittlerweile hatte ich gelernt mit meinem Äußeren zu leben. Womit ich jedoch nach wie vor nicht umgehen konnte, waren die ablehnenden und vernichtenden Blicke, die mir überall entgegenschlugen und die bösartigen Kommentare, die man mir in Scharen hinterherwarf. Man sollte meinen, nach gut siebzehn Jahren hätte man sich an die Ablehnung seiner Mitmenschen langsam gewöhnt, doch dem war nicht so. Wieso konnten sie nicht einfach nur akzeptieren, dass es auch Menschen gab, die anders waren, als sie selbst?

Kopfschüttelnd riss ich meinen Blick von der Fensterscheibe los und setzte missmutig meinen Weg fort.

 

Der Weg, den ich zurücklegen musste, war nicht weit, schließlich lag unser kleines Apartment gerade einmal 2 Häuserblocks von der Schule entfernt und zum Café war es auch gerade einmal ein Katzensprung. Dass ich mir jedoch Zeit ließ und den Weg bis nachhause größtenteils vertrödelte, war an einem Tag wie diesem nicht gerade ungewöhnlich. Mein Geburtstag…

Für andere war dieser Tag etwas Besonderes und sie taten das ganze Jahr über nichts anderes, als diesem einen Tag entgegenzufiebern, in der Hoffnung mit tollen Geschenken überhäuft zu werden. Mir selbst bedeuteten diese Geschenke jedoch nichts. Ich hatte nur einen Wunsch, von dem ich jedoch wusste, dass er sich nie erfüllen würde.

Ich schloss die Tür zu unserer Wohnung auf und trat in die einnehmende Schwärze des Raumes ein. Meinen Schlüssel legte ich in die Schale, die auf einer Kommode neben der Tür stand und schaltete das Licht ein. Die Jalousien waren heruntergelassen, damit die warme Sonne den Tag über nicht in die Wohnung scheinen und diese somit unnötig aufheizen konnte. Ich stellte meine Schultasche ab, zog meine Schuhe aus und trottete langsam in unser gemütliches Wohnzimmer.

Die Wände waren in einem sanften Beige-Ton gestrichen und passten hervorragend zu unserer ebenfalls beigen Couch und dem gleichfarbigen Sessel dazu. Mit kleinen Schritten trottete ich zu unserer gemütlichen Couch herüber und bemerkte ein großes Paket, welches auf unserem schwarzen Stubentisch stand. Ich ließ mich auf den weichen Stoff sinken, zog das Paket zu mir heran und öffnete es vorsichtig. Zum Vorschein kam eine große, mit Sahne überzogene Creme-Torte, wie ich sie als Kind gerne gegessen hatte. Siebzehn Kerzen prangten auf ihr und daneben lag ein kleiner Umschlag, auf dem stand: Für Fey – von Mama und Papa

Ich stieß ein lautes Seufzen aus, denn ich hatte nichts anderes erwartet. 

Meine Eltern waren erfolgreiche Kaufleute in der Tourismusbranche, weshalb es nicht gerade selten war, dass sie immer mal wieder für kurz oder lang auf Geschäftsreise gehen und ihre Partner treffen mussten. Ich war daher ziemlich oft alleine, was mich im Grunde genommen nicht weiter störte, allerdings hatte ich mir erhofft, wenigstens an meinem Geburtstag mit ihnen zusammen sein zu können. Aber war es denn verwunderlich, dass sie sich nicht einmal an dem Geburtstag ihrer einzigen Tochter freinehmen konnten? Eigentlich nicht…

Ich brauchte mir nichts vorzumachen, denn ich hatte schon seit langer Zeit bemerkt, was eigentlich in ihren Köpfen vorging. Sie schämten sich für mich, denn für meine Eltern, für die Luxus und Prestige alles waren, war eine hässliche Tochter, wie ich es war, die reinste Schande. Meine Mutter hatte mich in der Vergangenheit von einem Kosmetiker zum nächsten gezerrt und sogar von Schönheitsoperationen gesprochen. Sie ertrug es nicht, wenn ihre Freundinnen jedes Mal mit ihren schönen, klugen Töchtern prahlten und sie selbst nichts dagegenzusetzen hatte. Irgendwann hatten sie jedoch beide einsehen müssen, dass an mir Hopfen und Malz verloren war und angefangen sich nur noch um ihre Arbeit zu kümmern. Um ihr Gewissen zu erleichtern, überhäuften sie mich teilweise mit teuren Geschenken, den neusten Handy’s oder Markenklamotten. Für mich zählten diese materiellen Dinge jedoch nicht. Ich konnte mir bereits vorstellen, das in diesem Umschlag nichts weiter als ein 100€-Schein stecken würde. Keine Karte nicht einmal ein Gruß… Nichts.

Ich öffnete ihn gar nicht erst, griff stattdessen zur Streichholzschachtel, die neben mir auf dem Tisch lag und zündete die Kerzen an.

Mein Leben war bisher wahrhaft nicht gerade einfach gewesen, doch was brachte es, immer nur zu jammern? Davon würde sich auch nichts ändern.

Nichtsdestotrotz schloss ich die Augen und musste nicht einmal lange überlegen, was ich mir wünschen sollte. Andere wünschten sich Gesundheit oder Geld, Glück in der Schule oder in der Liebe. Ich selbst jedoch hatte seitdem ich denken konnte, nur diesen einen Wunsch, von dem ich wusste, seine Erfüllung würden all meine Probleme ungeschehen machen. Ich glaubte, ehrlich gesagt, nicht einmal daran, dass dieser Wunsch je Wirklichkeit werden würde, aber es tat gut, wenigstens einmal im Jahr Hoffnung zu hegen. Ich wünschte mir Schönheit. Ich wollte zwar weder ein Laufstieg- noch ein Zeitungsmodell werden, aber ich wollte einfach nur normal sein. So normal, wie es eben irgendwie möglich war. Mit einem Aussehen, dass mir nicht nur ablehnende, sondern vielleicht auch positive Blicke entgegen bringen würde. Ein Aussehen, für das man mich nicht schon von weitem verurteilen, sondern mir vielmehr die Chance geben würde, mich wirklich kennenzulernen.

Ich holte tief Luft und pustete mit einem starken Luftzug alle Kerzen auf einmal aus. Anschließend verharrte ich kurz in dieser Position und seufzte letztendlich erneut.  Es war doch jedes  Jahr wieder das Gleiche…

 

Als ich die Augen wieder öffnete, lag meine Umgebung jedoch in komplette Schwärze gehüllt. Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen, da ich gar nicht gemerkt hatte, wie das Licht ausging. Ob wir einen Stromausfall hatten? Ich wollte gerade aufstehen und die Jalousien am Fenster hochziehen, damit wenigstens noch etwas Licht der Abendsonne in die Wohnung scheinen konnte, als ich jedoch plötzlich ein leises, scharrendes Geräusch hörte. Augenblicklich versteinerte ich in meiner Bewegung und versuchte angestrengt zu lauschen. Mein Adrenalinspiegel schoss dabei unweigerlich in die Höhe und mein aufgeregtes, laut klopfendes Herz war zunächst das Einzige, was ich hören konnte. Es war pechschwarz und ich konnte nicht einmal die Hand vor Augen sehen, doch ich wusste, dass ich nicht alleine war. Ich spürte die Anwesenheit eines Fremden im Raum, konnte jedoch nicht deuten, wer es war, geschweige denn, wo er sich aufhielt.

Als ich plötzlich einen heißen Atem in meinem Nacken spürte, war es jedoch schon zu spät. Ich wollte schreien, davon rennen und irgendwie Hilfe holen, doch noch ehe mir auch nur der leiseste Ton entweichen konnte, presste sich eine starke Hand auf meinen Mund und brachte mich somit direkt wieder zum Schweigen. Mit einem Ruck wurde ich nach hinten gezogen und dort an einen harten, eisernen Körper gepresst. Ich versuchte zwar mich zur Wehr zu setzen, zappelte und strampelte um mich, doch keine meiner rudernden Gliedmaßen schien den Fremden zu treffen oder ihn auch nur ansatzweise zu stören.

Was wollte er hier? War er ein Einbrecher und ich hatte ihn gerade auf seiner Beutetour überrascht, als ich nach Hause gekommen war? Oder wollte er mich entführen, um dann Lösegeld von meinen Eltern zu erpressen? Mir ging ein Horrorszenario nach dem nächsten durch den Kopf, jedoch hörte ich ihn letztendlich leise sagen: „Nicht schreien.“

Seine Stimme war tief und vibrierte in seinem Brustkorb, als er sprach. Es schwang seiner Stimme ein Tonfall mit, der eindeutig erwartete, befolgt zu werden und langsam nickte ich. In dieser Position hatte ich gegen ihn ohnehin keine Chance und vielleicht würde er sich in Sicherheit wiegen, wenn ich vorübergehend kooperierte. Vorsichtig nahm er die Hand von meinem Mund, als wolle er jedoch zunächst sicher gehen, dass ich wirklich nicht zu schreien anfing. Anschließend ließ er jedoch abrupt von mir ab und ich schwankte leicht, als ich versuchte mein Gleichgewicht wiederzufinden.

Als dann auch noch plötzlich das Licht anging und mich unwillkürlich blendete, musste ich mir zunächst schützend die Hand vors Gesicht halten, bevor ich wieder klar sehen konnte. Wie nur hatten sich meine Augen in der kurzen Zeit bereits an die Dunkelheit gewöhnen können?

Ich ließ anschließend suchend meinen Blick durch den Raum schweifen und entdeckte zunächst die Creme-Torte, welche ich scheinbar bei meinem Gestrampel unabsichtlich vom Tisch getreten hatte. Nun lag sie auf unserem schwarzen Teppichboden und ich ließ missmutig die Schultern sinken, als mir klar wurde, dass diese Flecken wohl nicht so leicht rausgehen würden.

Als ich eine Bewegung an der Tür bemerkte, kehrten meine Gedanken wieder zu dem fremden Angreifer zurück und ängstlich sah ich in seine Richtung. Er war groß, hatte breite Schultern und an seinen nackten Armen bildeten sich deutlich seine Muskeln ab. Körperlich hatte ich also definitiv keine Chance gegen ihn, stellte ich bekümmert fest.

Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, sich locker in den Türrahmen gelehnt und seinen Mund zu einem schiefen Grinsen verzogen. Seine Gesichtszüge waren markant und seine schulterlangen Haare so rot, wie Blut, aber am angsteinflößendsten waren im Moment seine Augen. Ihre graue, kräftige Farbe konnte ich zunächst nur mit einem Sturmhimmel vergleichen und er fixierte mich mit ihnen, als könne er nur mit diesem einen Blick tief in meine Seele blicken. Eine erschreckende Vorstellung…

„Hallo Fey“, sagte er und ich zuckte erschrocken zusammen. Woher kannte er meinen Namen?

„Schön dich wiederzusehen.“, meinte er weiter und ich blinzelte verwirrt. Mich wiederzusehen? Wovon sprach er? Waren wir uns schon einmal begegnet? Ich blickte erneut an ihm auf und ab, konnte mich jedoch nicht daran erinnern, ihn irgendwann schon einmal gesehen zu haben.

„E-Entschuldigen Sie, aber… aber kennen wir uns?“, fragte ich zögernd, jedoch zitterte meine Stimme leicht, als ich sprach. Er zog plötzlich die Brauen argwöhnisch zusammen und das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht.

„Was meinst du damit? Erinnerst du dich nicht mehr an mich?“ Er klang ungläubig, fast schon verwirrt und schüttelte letztendlich leicht mit dem Kopf, als hielte er es für unmöglich, dass ich ihn vergessen haben könnte. Unschlüssig zuckte ich jedoch nur mit den Schultern, denn ich konnte mir absolut keinen Reim darauf machen, wer er war oder woher ich ihn kennen sollte. Daraufhin stieß er ein genervtes Seufzen aus, setzte jedoch anschließend zu einer Erklärung an.

„Wir haben uns vor sieben Jahren kennengelernt. Mein Name ist Castiel“, stellte er sich vor, jedoch sagte mir auch sein Name nichts. Vor sieben Jahren? Da musste ich gerade einmal zehn Jahre alt gewesen sein. Dennoch war das bereits alt genug, damit ich mich jetzt wenigstens ein bisschen an ihn erinnern könnte. Wieso aber tat ich es nicht?

„Du hast mir damals ein Versprechen gegeben, dass du mit siebzehn Jahren einlösen wolltest. Darum bin ich hier. Ich bin hier um dich zu meiner Frau zu machen.“

 

Eine kurze Weile lang herrschte Stille in unserem kleinen Wohnzimmer und ich blinzelte perplex über die Aussage, die er soeben getroffen hatte. Was hatte er gesagt? Ich hatte versprochen ihn zu heiraten? Nun war ich überzeugt davon, dass dieser Fremde nur irgendein dahergelaufener Irrer sein konnte. Ich zog zweifelnd die Brauen zusammen, schüttelte leicht mit dem Kopf und begann kaum merklich weiter von ihm zurückzuweichen.

„Es tut mir leid, aber… das muss eine Verwechslung sein“, beteuerte ich, jedoch zog er nur überheblich eine Augenbraue hoch und meinte mit arrogantem Tonfall: „Ausgeschlossen, ich irre mich nie.“

So langsam fragte ich mich wirklich, was das alles hier sollte. Ich konnte mich kein bisschen an diesen Mann erinnern, nun tauchte er hier auf und behauptete einfach so etwas? Wie war er überhaupt in die Wohnung gekommen? Ich hatte an der Tür keinerlei Einbruchspuren erkennen können, jedoch hatte bis auf meine Eltern und ich selbst keiner einen Schlüssel zu unserer Wohnung…

Plötzlich fiel mir die alles erklärende Möglichkeit ein und ich sah ihm schockiert entgegen.
„Meine Eltern haben doch nicht….“ flüsterte ich entsetzt und meine Augen weiteten sich erschrocken. Ich hoffte inständig, dass sie nicht so verrückt waren und aus der Angst heraus, dass ich mit meinem Äußeren ohnehin keinen Mann finden würden,… mir tatsächlich einen gekauft hatten. Das durfte nicht sein. Das konnte nicht sein! In der heutigen Zeit waren Zwangsehen verboten und ich hoffte inständig, dass er sich von ihnen nicht hatte kaufen lassen. Mein Blick schweifte an ihm auf und ab und ich bemerkte seine zerschlissene, dunkle, teilweise sogar zerrissene Kleidung. Ob er Geldprobleme hatte? Hatte er sich deswegen auf so eine Geschichte eingelassen?

„Aber das geht nicht“, platzte es aus mir heraus und ich schüttelte schockiert mit dem Kopf. „Egal in was für Geldproblemen Sie momentan stecken, Sie dürfen sich doch nicht auf so eine Geschichte einlassen. Eine Zwangsehe ist doch keine Lösung und noch dazu ist sie illegal“, schilderte ich und gestikulierte dabei aufgebracht mit den Händen umher. Allein der Gedanke daran, von meinen Eltern zu einer potenziellen Ehe gezwungen zu werden, sorgte dafür, dass sich mir krampfartig der Magen umdrehte. „Und genau genommen hat es sogar etwas von Sklaverei, wenn sie sich und ihre Zukunft einfach so verkaufen…“, sagte ich weiter, hielt jedoch einen Moment später abrupt inne, als ich merkte, wie sich seine Gesichtszüge plötzlich verhärteten.

„Ein Sklave?“, fragte er ungläubig, „Ein Sklave? Ich bin Castiel, einer der mächtigsten Dämonen im ganzen Pandämonium, der stärkste Feuerteufel, den es je gegeben hat und Herrscher über das gesamte Feuerreich. Ich bin kein verfluchter Sklave“, seine Stimme hallte in unserem kleinen Wohnzimmer nieder, als er mir wild entgegenbrüllte und ich zuckte dabei ängstlich zusammen. Ich wollte gerade zu einer beschwichtigen Antwort ansetzen, ehe mir jedoch auffiel, was er mir eigentlich gerade an den Kopf geknallt hatte. Er hielt sich für einen Dämon?

Ein Stein der Erleichterung fiel mir von den Schultern, als ich belustigt die Arme vor der Brust verschränkte und endlich begriff, was hier gerade geschah. Es war mir ein bisschen peinlich, ihn zunächst für einen potenziellen Heiratskandidaten gehalten zu haben, aber offensichtlich hatten meine Eltern doch eine bessere Idee gehabt, als ich es ihnen zunächst zugetraut hätte. Der Typ war ganz offensichtlich eine Art Komiker und scheinbar dafür engagiert und von meinen Eltern in die Wohnung gelassen wurden, damit er mich zu meinem Geburtstag etwas unterhalten konnte. Gegen diese Art der Unterhaltung hatte ich zwar nichts einzuwenden, es wäre dennoch ganz nett gewesen, wenn man mich wenigstens vorgewarnt hätte.

Ich beschloss, in sein Spiel einzusteigen und meinte belustigt: „Du bist ein Dämon? Ja klar… Du siehst gar nicht aus wie einer.“ Er zog argwöhnisch eine Augenbraue nach oben, stieß jedoch anschließend ein genervtes Seufzen aus und schob seine schulterlangen, roten Haare nach hinten. Mein Blick folgte seiner Bewegung und ich erkannte, dass er seine länglichen, spitzzulaufenden Ohren enthüllte. Er ging scheinbar ziemlich auf in seinem Element, wenn er sich dafür sogar künstliche Ohren anklebte.

„Süß“, meinte ich langsam und nickte zustimmend, „Nur das beweist gar nichts.“

Wenn Blicke töten könnten, wäre ich wahrscheinlich in diesem Moment tot umgefallen. Er sah mich mit einer solchen Boshaftigkeit an, dass ich sogar einen Schritt zurückwich, obwohl ich genau wusste, dass das alles nur Show war. Ich konnte nicht sagen, ob es das süß war, dass ihn aufregte hatte, oder die Tatsache, dass ich ihm nach wie vor nicht zu glauben schien.

„Dann beweist vielleicht das hier etwas“, knurrte er und ehe ich mich versah, stand er kaum einige Zentimeter von mir entfernt, sodass ich erschrocken nach Luft schnappen musste. Er legte mir einen Arm um die Taille und zog mich einfach so an sich. Ich wollte mich wehren, um vor ihm zurückzuweichen, doch plötzlich bemerkte ich dass es um mich herum laut zu knistern begann. Verunsichert ließ ich den Blick zur Seite schweifen, jedoch war es bereits zu spät und ich fand mich von hüfthohen, Flammen eingekreist. Das Feuer verbreitete sich in Sekundenschnelle im ganzen Raum und unwillkürlich presste ich mich näher an den Fremden, um somit den lauernden Flammen zu entrinnen. Wie konnte das nur sein? Wo kam plötzlich dieses Feuer her? Panik erfasste mich und ängstlich sah ich zu dem jungen Mann auf, der nach wie vor die Arme um mich geschlungen hatte und mir selbstgefällig entgegengrinste. Bestürzt musste ich feststellen, dass ich mich scheinbar wieder einmal geirrt hatte. Kein Komiker würde so weit gehen und nur zur glaubhaften Darstellung seiner Worte eine ganze Wohnung niederbrennen. Wer also war er? Oder besser gesagt was? War er ein irrer, selbstmordgefährdeter Psychopath, der mich nun mit ihm in den Tod reißen wollte? Doch was sollte dann die ganze Show zuvor? Und wie war es ihm gelungen hier so schnell ein derart großes Feuer zu legen? Das Ganze ergab einfach keinen Sinn, außer…  Außer diese ganze Dämonengeschichte war doch nicht so weit hergeholt, wie ich zunächst dachte. Geschockt riss ich die Augen auf und betrachtete ihn mit immer größer werdendem Entsetzen.

„Glaubst du mir nun?“, hörte ich ihn mit arroganter Stimme fragen, jedoch klang es ausgesprochen viel mehr wie eine Feststellung und er schien gar nicht erst auf eine Antwort von mir zu warten. Ehe ich mich versah, verschwanden die Flammen im Raum wieder genauso schnell, wie sie gekommen waren und ruckartig ließ er mich los, sodass ich vor ihm ungalant auf meinen vier Buchstaben landete. Panisch ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen, jedoch stellte ich überrascht fest, dass keiner der Möbelstücke Schaden genommen hat. Alles stand unversehrt genau da, wo es immer gestanden hatte und sogar der zermatschte Kuchen auf unserem schwarzen Fluorteppich war in der Hitze der Flammen nicht zerlaufen. Ich konnte mir absolut keinen Reim darauf machen, schließlich hatte ich die Wärme und die Hitze des Feuers doch gespürt. Oder hatte ich mir das vielleicht nur eingebildet? Was war nur los mit mir?

 

„Nun, da das ja nun geklärt ist…“, begann er plötzlich und riss mich somit wieder gekonnt aus meinen Gedanken. Er hatte sich vor mir hingehockt, die Arme locker auf die Knie gelegt und mit einem triumphierenden Grinsen sah er auf mich hinab. „…fang ich am besten nochmal von vorne an. Wie gesagt, mein Name ist Castiel und ich bin ein sogenannter Feuerteufel. Vor sieben Jahren hast du mir einst das Versprechen gegeben mich zu heiraten, sobald du siebzehn Jahre alt bist und wenn mich nicht alles täuscht, müsste das… heute sein.“

Ein Zittern durchfuhr meinen Körper, als mir allmählich bewusst wurde, dass er das ganze bitterernst meinte. Er war weder von meinen Eltern beauftragt wurden, noch wollte er sich einen bösen Scherz mit mir erlauben.  Aber ich konnte mich überhaupt nicht daran erinnern, ihn jemals begegnet zu sein, geschweige denn ihm ein Versprechen von solcher Wichtigkeit gegeben zu haben. Wieso wollte er mich überhaupt heiraten? Waren in der Hölle die Frauen etwa ausgestorben?

„I-Ich… kann dich nicht heiraten“, meinte ich leise, stellte jedoch beunruhigt fest, dass er schon wieder wütend zu werden schien.

„Du hast mir ein Versprechen gegeben“, fauchte er, „Und so ein Versprechen ist bindend.“

Ich schüttelte nur leicht mit dem Kopf und beteuerte anschließend: „A-Aber ich erinnere mich doch nicht daran.“ Wie sollte mich ein angebliches Versprechen an etwas binden können, von dem ich nicht einmal wusste, dass ich es je gegeben hatte? Das musste er doch auch verstehen, oder nicht? Einen Blick auf seine trotzigen Gesichtszüge zeigte mir jedoch bereits, dass er das Alles ganz anders sah, noch bevor er überhaupt darauf antworten musste. Mein Hirn begann auf Hochtrieb zu arbeiten und irgendwie nach einer Lösung zu suchen, die mich nur irgendwie vor diesem halsstarrigem Dämon retten würde.

Wieso musste sowas auch immer ausgerechnet mir geschehen? Reichte es nicht, dass ich auch so schon gestraft genug mit allem war? Warum wollte ein Dämon wie er, der noch dazu nicht einmal schlecht aussah, wenn man von der zerrissenen Kleidung absah, gerade jemanden wie mich heiraten? Er konnte doch sicherlich zahlreiche andere Frauen haben… Schönere Frauen…

Meine Gesichtszüge erhellten sich jedoch schlagartig, als mir endlich die erlösende Möglichkeit auffiel und zum ersten Mal in meinem Leben war mein größter Fluch wahrscheinlich auch mein größter Segen.

„A-Aber sieh mich doch an“, setzte ich langsam zu sprechen an, „Sieh dir an, wie ich aussehe. Ich bin nun wirklich keine Schönheit. Wieso solltest du jemanden wie mich heiraten wollen?“, fragte ich und musste mir ein triumphierendes Lächeln verkneifen. Warum war mir diese Ausrede nicht schon eher eingefallen?

Als ich jedoch sah, wie er plötzlich unerwartet zu Grinsen begann, wuchs meine Beunruhigung erneut mächtig an.

„Du irrst dich“, sagte er schmunzelnd und musterte mich dabei mit einem interessierten Blick. „Du bist schön.“

Argwöhnisch zog ich die Brauen zusammen und überlegte fieberhaft, ob dieser Dämon vielleicht an einer verzerrten Wahrnehmung litt. Galt in seiner Welt etwa alles Hässliche als schön und die Dinge, die wir Menschen als schön betrachten, wurden dort verschmäht, wie hier alles Hässliche? Resigniert musste ich mir eingestehen, dass ich unter diesen Voraussetzungen wahrscheinlich seinen Jackpot darstellen musste. Ich schüttelte nur erneut mit dem Kopf, jedoch bevor ich etwas erwidern konnte, merkte ich, wie sich eine fremde Hand um mein Handgelenk schloss und nur einen Augenblick später, stand ich wieder auf den Beinen. Ich japste erschrocken nach Luft, wurde jedoch bereits von ihm aus dem Wohnzimmer und durch den Flur gezerrt. Auch, wenn ich zwar versuchte mich gegen ihn zur Wehr zu setzen, war mir insgeheim bewusst, dass meine Gegenwehr nichts bringen würde. Er hatte mir vorhin bereits gezeigt, dass ich ihm körperlich unterlegen war und auch jetzt, zeigte mein stetiges Zappeln, Winden und Entgegenstemmen nicht die geringste Wirkung. Wo wollte er nur mit mir hin? Er würde mich doch jetzt nicht einfach mit in seine Welt verschleppen, oder doch?

Als er jedoch letztendlich anhielt, befand ich mich nicht in einer blutverschmierten Hölle wieder, sondern in unserem weiß gefliesten Badezimmer. Er hatte mich vor unsere bodentiefe Spiegelfront gezerrt, die sich zwischen Badewanne und Dusche erstreckte, stand nun hinter mir und hatte mir die Hände auf die Schultern gelegt, um mich mit sanften Druck an Ort und Stelle zu halten.

„Ich möchte dir mein Geschenk zeigen“, flüsterte er mir ins Ohr und als sein warmer Atem meine Haut an der Stelle streifte, stellten sich augenblicklich meine empfindlichen Härchen auf und eine Gänsehaut überzog mich. Er war mir so nah, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen konnte, doch ich versuchte ihn so gut es ging auszublenden und konzentrierte mich auf das, was er mir zeigte. Mein Spiegelbild…

 

Ein erschrockenes Keuchen entwich mir, als ich die Person betrachtete, die mir aus dem Spiegelbild mit geweiteten Augen entgegen blickte. Lange, orangene Haare, die im Schein der weißen Deckenlampe leuchteten und so kraftvoll und voluminös wirkten, dass sie absolut keine Ähnlichkeit mehr mit dem matten, leblosen Stroh hatten, dass sonst auf meinem Kopf zu wachsen schien. Reine, helle Haut, auf der sich nicht einmal ein einziger Pickel abzeichnete und eine kleine, gerade Nase, die nicht mehr länger aus dem Gesicht herauszustechen schien. Was mir jedoch am meisten auffiel, waren die klaren, strahlend blauen Augen, die mich so sehr an die Fotos aus meiner Kindheit erinnerten.

Das sollte ich sein? Ich musste ehrlich zugeben, dass ich mir schon oft ausgemalt hatte, wie ich gerne aussehen würde, und dieses Erscheinungsbild traf tatsächlich den Nagel auf den Kopf. Doch wieso zeigte er mir das? War er wirklich so grausam, dass er sich an meinem Leid nun so erfreute und mir etwas vorhielt, dass ich schon immer begehrte, jedoch nie haben würde?

Deprimiert ließ ich die Schultern sinken und wandte meinen Blick von der großen Spiegelfront ab. Unruhig begann ich mit meinen langen Ärmeln zu nesteln und nur schwer brachte ich die Worte heraus, die ich ihn fragen wollte: „Warum zeigst du mir das?“

Durch seine Berührung auf meinen Schultern merkte ich, wie ein leichter Ruck durch seinen Körper ging, als er scheinbar seinerseits mit den Schultern zuckte.

„Betrachte es einfach als eine Art kleinen Vorgeschmack“, meinte er dann, „Ich sagte doch, dass du schön bist.“

„Das bin aber nicht ich“, flüsterte ich leise und bemerkte dabei, wie meine Augen zu brennen begannen, als sich langsam die ersten Tränen darin bildeten.

„Doch, das bist du“, hörte ich ihn sagen und warf seinem Spiegelbild einen verwirrten Blick zu. Er erwiderte noch kurz den meinen, ehe er mich jedoch abrupt losließ und mit langsamen Schritten durch unser großes Badezimmer schritt.

„Du dachtest doch nicht wirklich, dass ich zulassen würde, dass du aus Unachtsamkeit heraus deine Unschuld an irgendeinen dieser Menschenbastarde verlierst?“, fragte er und ließ sich mit verschränkten Armen auf unserem Badewannenrand nieder. „Menschen sind so schrecklich oberflächlich und ich wusste, wenn ich wollte, dass du nur mir gehörst, dass ich deine Unschuld bis zu deinem siebzehnten Lebensjahr schützen musste. Also war es das Einfachste dich mit einem Fluch zu belegen, denn solange deine wahre Schönheit für die anderen verborgen bleibt, würde auch keiner auf den Gedanken kommen dich anzufassen.“, er legte eine kurze Pause in seine Schilderung ein, ehe mir erneut selbstgefällig entgegengrinste und anfügte: „Aber mach dir keine Gedanken, du musst nicht ewig mit diesem Aussehen herum laufen. Nach unserer Hochzeit wird der Fluch automatisch gebrochen und du wirst wieder deine wahre Gestalt annehmen…“

Er verlor noch weitere Worte über seine Pläne und was er sich noch alles so vorstellte, jedoch hörte ich ihm schon lange nicht mehr zu. Geschockt versuchte ich das eben Gehörte zu verarbeiten, jedoch erwies sich das als schwieriger, als zunächst gedacht. Sollte das etwa bedeuten, dass ich gar nicht wirklich hässlich war? Konnte ich mein Äußeres bisher einfach nicht verändern, weil es dieser Fluch verhinderte, von dem er gesprochen hatte? Hatte ich all die Jahre etwa nur in einer Lüge gelebt und all die Schikanen und Enttäuschungen hinnehmen müssen, obwohl ich das gar nicht hätte tun müssen?

Und das alles nur, weil irgendein Dämon mich mit einem Fluch belegte, damit ihm meine Unschuld erhalten blieb? Und er erzählte mir auch noch davon, als müsste ich ihm deswegen dankbar sein…

Unglaubliche Wut erfüllte mich, als ich immer mehr begriff, dass er der Grund für all mein Unglück war und er erwartete allen Ernstes, ich würde ihn nach diesen Erkenntnissen noch heiraten? Ich kannte ihn nicht, konnte mich nicht einmal daran erinnern, ihm je begegnet zu sein, aber ich konnte bereits jetzt sagen, dass er egoistisch war, kaltherzig und ignorant. Wie nur würde ich jemals einen wie ihn heiraten können?

Aufgebracht wirbelte ich zu ihm herum und fixierte ihn mit einem wütenden Blick.

„Du spinnst doch!“, brüllte ich ihm entgegen und deutete mit dem Finger auf ihn. „Was bildest du dir eigentlich ein? Dass du dahergelaufen kommen und einfach irgendwelche Leute mit einem Fluch belegen kannst, wie es dir gerade passt? Weißt du überhaupt, was du mir mit diesem Fluch angetan hast? Du hast mein Leben ruiniert!“ All meine Wut und all meine Verzweiflung schwangen ihn mit meinen laut ausgeschrienen Wörtern entgegen und ich bemerkte, dass auch er meinen wütenden Blick erwiderte. Ich ließ ihn jedoch nicht zu Wort kommen, denn es war mir im Moment egal, was er sagen wollte oder was er mit mir daraufhin vielleicht anstellen würde.

Er war unsensibel und dachte, die Aussicht darauf mein wirkliches Aussehen zurückzuerlangen, wäre verlockend genug, um alle Bedenken in den Wind zu schlagen und seine Frau zu werden? Dachte er wirklich, dass es so einfach werden würde?

„Lieber bleibe ich bis in alle Ewigkeit mit diesem Fluch belegt, als jemals die Frau eines so egoistischen, unsensiblen und selbstsüchtigen Dämons zu werden. NIEMALS!“ Aufgebracht warf ich die Arme in die Luft und die Tränen, die mir nun über die Wangen liefen, machten mich umso wütender. Ich wandte mich von ihm ab, denn ich würde ihm garantiert nicht auch noch die Genugtuung geben mich weinen zu sehen.

Als er jedoch zu sprechen ansetzte, war seine Stimme nicht wütend, sondern ruhig, nahezu schon belustigt und im Moment erschreckte mich das mehr, als hätte er in voller Lautstärke zurückgebrüllt.

„Du wirst meine Frau werden. Verlass dich drauf“, meinte er selbstgefällig und anhand seines Tonfalls konnte ich heraushören, dass er scheinbar breit grinste. Die Entschlossenheit in seiner Stimme verängstige mich, doch als ich mich jedoch erneut zu ihm umdrehte, war er einfach verschwunden. Was für ein merkwürdiger Tag…

 


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Kommentare: 2
  • #1

    Fairy tail-Lover (Freitag, 29 Juli 2016 09:42)

    Hallo ^^
    Also ich finde das Kapitel sehr schön, ich habe ja den Vergleich mit dem Manga (bzw mit Band 1 erst XD) und deine Story hatte Abweichungen, wäre auch wirklich lustig geworden wenn gleich gewesen wäre XD.
    Also das Kapitel fand ich mega schön,alles war so wunderbar beschrieben und gut bildlich vorstellbar.
    Du hast du Gedanken von Fey richtig toll zur Geltung gebracht und da uch Castiels Art war richtig geil getroffen,so ist unser Castiel wie er liebt und lebt.
    Das Kapitel war auch richtig schön lang und ich habe keine Rechtschreibfehler bemerkt.
    Ich freue mich echt auf die nächsten Kapitel

    LG Fairy tail-Lover

  • #2

    Vide (Sonntag, 31 Juli 2016 19:11)

    Hallöchen Fairy tail-Lover^^
    Es freut mich, wenn dir das erste Kapitel gefällt, wobei ich nicht ganz verstehe, in wie weit es "lustig" gewesen wäre, wenn es dem Inhalt des Mangas, den ich nicht kenne, gleich gewesen wäre. O.o
    Dankeschön, das höre ich gerne, dass du es dir beim Lesen so gut vorstellen konntest^^
    Dann hoffe ich sehr, dass ich dem Ganzen auch künftig gerecht werden kann. :D

    LG. deine Vide^^