Wütend donnerte ich meine Handtasche auf den Verkaufstresen und störte mich nicht weiter an den Menschen, die 2 Tische entfernt saßen und aufgrund des lauten Knalls erschrocken zusammenzuckten.

„Da hat aber jemand schlechte Laune“, hörte ich die melodische Stimme meiner Freundin gedämpft hinter dem Vorhang hervorhallen. „Was ist denn passiert?“

Ich stieß ein tiefes Seufzen aus, schob den dunklen Vorhang beiseite und betrat den fensterlosen Mitarbeiter-Bereich des kleinen Cafés.

„Das wird Peggy mir büßen“, zischte ich leise und pfefferte die kleine Plastiktüte, die ich immer noch in der Hand hielt, mit einer schwungvollen Bewegung in die nächste Ecke. Dort kam sie geräuschvoll zum Erliegen und ein kleiner Teil der schwarzen Spitze lugte unter dem knisternden Plastik hervor, fast so, als wollte sie mich auslachen. Das wäre ja mal wieder typisch.

„Was hat sie dir denn dieses Mal aufgetragen?“  fragte meine Freundin besänftigend, während sie offenbar so tat, als hätte sie meinen kleinen Wutausbruch eben gar nicht bemerkt. Sie bemühte sich zwar eines gleichgültigen Tonfalls, schließlich wusste sie genau, wie sehr Peggys nichtige Aufträge mich frustrierten, aber den amüsierten Unterton konnte sie nicht ganz verbergen.

Mit pikiertem Blick drehte ich mich zu ihr herum und funkelte sie böse an. Sie lehnte an dem kleinen Tisch an der gegenüberliegenden Seite des Raumes, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blickte mir erwartungsvoll entgegen.

Mir blieb die bissige Bemerkung, die ich ihr eigentlich gerade entgegendonnern wollte, im Halse stecken, als mir mal wieder bewusst wurde, wie hübsch sie doch eigentlich war. Pia war eine durch und durch exotische Schönheit, woran jedoch nicht nur ihre indischen Wurzeln schuld waren. Ihre reine, karamellfarbene Haut und das lange, schokoladenbraune Haar, welches sie sich im Moment zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden hatte, sprachen gewiss bereits für sich. Doch wirklich auffallen tat sie erst, durch ihre schon fast nahezu perfekten Körpermaße. Sie war groß, hatte eine schlanke Figur und dennoch schon fast übertrieben großzügige Kurven, die einen problemlos vor Neid erblassen lassen konnten. Es war kein Wunder, dass die Kerle ihr schon nahezu in Scharren hinterherliefen. Ich ließ meinen Blick kurz über meine eigene, ziemlich flach ausfallende Brust gleiten und stieß ein deprimiertes Seufzen aus. Während ich ansonsten kaum mit Kurven an meinem Körper geizte, musste selbstverständlich gerade diese Region unterdurchschnittlich mager ausfallen. Wie typisch für mich…

 

Ich wandte leicht verärgert den Blick ab, überging ihre Frage einfach und meinte stattdessen selbst: „Du kennst nicht zufällig jemanden, der Interesse an einem leicht überteuertem Shape-Wear-Body hätte?“

Überrascht zog sie die Augenbrauen hoch und richtete ihren Blick neugierig auf den kleinen Beutel in der Ecke. „Warum hast du ihn dir denn gekauft, wenn du ihn nicht haben willst?“, fragte sie ahnungslos und ehe ich es verhindern konnte, hatte sie mit wenigen, großen Schritten den Raum durchquert und das schwarze Folterinstrument aus der knisternden Tüte gezerrt.

„Ist der etwa kaputt?“

Die Röte schoss mir ins Gesicht und peinlich berührt zupfte ich am Saum meines weißen T-Shirts.

„Naja, ich kann das bestimmt wieder zusammennähen“, murmelte ich verlegen und beobachtete eine kleine, schwarze Fussel, die unschuldig unter einem der hölzernen Seitenregale hervorlugte.

Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, Pia von meinem Fauxpas in der Umkleide wissen zu lassen. Schließlich war mir die ganze Sache auch so schon peinlich genug. Mir war zwar bewusst, dass sie mich für meine Tollpatschigkeit nicht verurteilen würde, allerdings musste sie auch nicht jedes Mal aufs Neue davon Zeuge werden, was für ein hoffnungsloser Fall ich in mancher Hinsicht doch war. Für kurze Zeit herrschte Stille in dem kleinen Raum, ehe sie plötzlich in schallendem Gelächter ausbrach.

„Oh Mila, manchmal bist du aber auch echt ein Pechvogel“, meinte sie zwischen zwei Lachattacken und wischte sich eine kleine Träne aus dem Augenwinkel. Sie schien die ganze Situation mal wieder irre komisch zu finden, ich dagegen… eher nicht.

„Ja ja, mach dich nur lustig“, murmelte ich kleinlaut. „Dabei war es gar nicht meine Absicht, dieses Teil zu kaufen. Das war viel zu teuer und wahrscheinlich muss ich Chuck demnächst wieder um Überstunden anbetteln, damit ich über den nächsten Monat komme.“

Leise vor mich hin jammernd öffnete ich den kleinen Holzschrank, der in der Ecke stand, und zog eine der quitschgelben Schürzen daraus hervor. Diese scheußliche, grelle Farbe war weder ansehnlich, noch stand sie mir sonderlich gut, allerdings war Chuck neuerdings der Meinung quitschgelb würde die fröhliche, dynamische Atmosphäre des Cafés unterstreichen und hatte diese Schürzen daher kurzerhand zur neuen Arbeitskleidung erklärt. Da jedoch weder Pia noch ich selbst dazu in der Lage waren, den schlechten Geschmack unseres gutherzigen Chefs zu bekehren, noch ihm unbarmherzig vor den Kopf stoßen wollten, blieb uns letzten Endes nichts anderes übrig, als schweigend unser Schicksal zu ertragen.

 

„Hmm, tut mir leid, Mila, leider fällt mir auf Anhieb niemand ein, der dir das Teil abnehmen würde“, meinte sie mit nun wieder ernsterem Tonfall.  „Aber vielleicht kannst du es ja auf dem Flohmarkt oder so anbieten? Das bringt zwar sicherlich nicht den vollen Kaufpreis wieder ein, aber vielleicht zumindest einen Teil davon.“ Sie überlegte nach weiteren Möglichkeiten, die es gab, um das ungewollt gekaufte Grauen wieder loszuwerden und ich schenkte ihr ein dankbares Lächeln. Mittlerweile kannte ich Pia bereits, seit ich angefangen hatte, in diesem Café zu arbeiten und in der Zwischenzeit hatte sich eine tiefe Freundschaft zwischen uns entwickelt. Auch sie hatte vor einem guten Jahr ein Studium an unserer Universität angefangen, Schwerpunkt: Rechtswissenschaften. Sie liebte es, sich stundenlang mit anderen Menschen wegen einer Sachlage zu streiten, diese dabei geschickt in eine Falle zu locken und letztendlich sogar eine knifflige Ausgangslage in einen Sieg zu verwandeln. Sie beschrieb es als einen Kick, den ihr diese Diskussionen gaben und soweit sie mir erzählte, war es schon immer ihr Traum gewesen, sich später einmal als Anwältin für die Schwachen einzusetzen und ihnen ihr Recht zu erkämpfen.

Als sie sich jedoch letztendlich für dieses Studium entschieden und somit beschlossen hatte, fest in diesen Ort zu ziehen, hatte ihre reiselustigen Eltern beinahe der Schlag getroffen. Auch, wenn ihnen eine unabhängige, freie Erziehung und Bildung ihrer Töchter bisher stets wichtig waren, so graulte ihnen doch vor dem Gedanken, zukünftig alleine weiterzuziehen, während ihre Älteste mutterseelenallein in einer Großstadt wie dieser zurückblieb. Kulturelle Grundsätze ließen sich halt doch nie vollends ablegen. Aber Pia hatte sich davon nicht entmutigen lassen, sondern es geschafft, sich gegen die verbohrten Ansichten ihrer Eltern durchzusetzen und sich letztendlich ein tolles, eigenständiges Leben hier aufgebaut. Manchmal beneidete ich sie für diese Entschlossenheit und den Mut, den sie regelrecht auszustrahlen schien.

 

Ich stieß ein leichtes Seufzen aus, wandte mich wieder meiner Schürze zu und band sie mit einer schnellen Bewegung hinter meinem Rücken fest. Anschließend warf ich noch einen kurzen Kontrollblick in den kleinen Spiegel neben der Tür.

Meine langen, braunen Haare waren nach wie vor noch zu einem normalen Pferdeschwanz gebändigt, wenn auch vereinzelte Strähnen sich mittlerweile daraus gelöst hatten und mir nun wirr vom Kopf abstanden. Mit einer routinierten Bewegung versuchte ich diese zumindest wieder halbwegs in die richtige Richtung zu schieben, wusste jedoch bereits nach ein paar Handgriffen, wie aussichtslos dieses Unterfangen war und gab den Kampf auf, noch ehe er begonnen hatte.

Stirnrunzelnd strich ich mir über meine gestresste, leicht gerötete Haut, die aufgrund des nervenaufreibenden Shoppingausflugs noch deutlich mitgenommen wirkte. Ich war mir jedoch ziemlich sicher, dass die Rötungen nach kurzer Zeit von alleine nachlassen würden, wenn ich mich wieder etwas beruhigt hatte. Es war einfach ein Nachteil, den sehr helle Haut nun einmal mit sich brachte, aber ich war daran gewöhnt. Ansonsten sah ich aus, wie immer. Eine hohe Stirn, versteckt hinter einem fransenartigen, geraden Pony. Hohe Wangenknochen, ein gerades Kinn und helle, wenn auch etwas zu eng stehende, grüne Augen. An für sich war ich ganz zufrieden mit meinem Aussehen, wenn man von den leichten Pausbacken und den diversen Problemzonen etwas tiefer absah, aber dennoch kam ich nicht umhin, mir einzugestehen, dass ich nichts weiter war, als der reine Durchschnitt. Keine Leinwandschönheit, von einem Model ganz zu schweigen, aber verstecken musste ich mich da draußen auch nicht. Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern. Damit konnte ich vermutlich leben…

Ich spritzte mir an dem Waschbecken in der Ecke noch schnell eine Hand voll Wasser ins Gesicht, um mich etwas zu erfrischen, trocknete mich ab und folgte Pia, die bereits vorgegangen war, in den Verkaufsbereich.

 

Das kleine Café, in welchem wir arbeiteten, war liebevoll eingerichtet und Chucks ganzer Stolz, wenn es auf den ersten Blick auch etwas kitschig wirkte. Die Wände waren in einem ebenso quitschgelben Ton gestrichen, wie unsere Arbeitsschürzen und ein scheinbar wahlloser Mix aus verschiedenen Bildern hing kreuz und quer über die Seiten verteilt. Tische, Stühle und Verkaufstresen bestanden aus dunklem Ebenholz und sowohl rote, als auch grüne Tischläufer waren darauf verteilt. Neben der hellbraunen Eingangstür prangte eine riesige Fensterfront, die helles Licht den Raum durchfluten ließ und ihm dadurch etwas Lebhaftes und Einladendes verlieh. Es war vielleicht nicht der bestaussehendste, geschweige denn luxuriöseste Laden der Stadt, aber definitiv der gemütlichste und ich fühlte mich rundum wohl hier.

Mittlerweile arbeitete ich, genau wie Pia, seit fast einem Jahr in diesem kleinen Café und war für diesen Job mehr als nur dankbar. In den letzten Jahren war es nicht immer leicht gewesen und umso glücklicher war ich, dass ich meiner Mutter nun nicht länger auf der Tasche liegen musste. Seit dem Tod meines Vaters hatte sie die letzten Jahre ganz alleine für uns beide gesorgt, hatte viel gearbeitet, damit es mir an nichts fehlte und selbst jetzt, wo ich es mir in den Kopf gesetzt hatte, unser gemütliches Zuhause auf dem Land gegen eine kleine 1-Zimmer-Wohnung in der Großstadt  zu tauschen und lieber ein Studium anzufangen, anstatt eine Ausbildung zu absolvieren, wie sie es gerne gesehen hätte, wollte sie mich am liebsten auch weiterhin unterstützen, so gut sie nur konnte. Und das, obwohl sie beinahe einen Herzinfarkt erlitten hatte, als sie erfuhr, dass ich vorhatte in die von ihr so verhasste Großstadt zu ziehen.

Doch das wollte ich nicht länger, ich wollte auf eigenen Füßen stehen, mich selbst versorgen und  für mich selbst verantwortlich sein. Es war zwar nach wie vor nicht immer einfach, denn wirklich reich wurde ich mit meinem kleinen Aushilfsjob auch nicht, aber es reichte, um über die Runden zu kommen. Selbstverständlich vorausgesetzt, diverse Sonderausgaben wie unsinnige und noch dazu völlig überteuerte Shape-Wear-Sachen mauserten sich nicht insgeheim zur neuen Standardwäsche.

 

Meine Gedankengänge wurden jedoch plötzlich unterbrochen, als das sanfte Schellen der Türglocke den Raum erfüllte und somit verkündete, dass soeben neue Gäste den Laden betreten hatten. Die freundliche Begrüßung, die ich gerade aussprechen wollte, blieb mir jedoch im Halse stecken, als ich die Neuankömmlinge genauer in Augenschein nahm. Es waren drei Männer, allesamt großgewachsen, in schwarze Lederklamotten gekleidet und mit grimmigen, missgelaunten Mienen durchquerten sie wie selbstverständlich den Laden und ließen sich geräuschvoll in einer der hintersten Sitzecken nieder.

„Himmel, wie sehen die denn aus?“, flüsterte Pia neben mir misstrauisch und bestätigte somit mein ungutes Gefühl. Diese fremden Gestalten schienen keine normale Kundschaft zu sein. Sie wirkten bedrohlich, fast schon gefährlich. Ob sie etwas im Schilde führten?

Ich beobachtete sie genauer. Der Größte von ihnen, welcher in der linken Ecke saß, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und er schaute mit nachdenklichem Blick auf die braune Tischplatte vor sich. Das kurze Haar, welches er sich auf der linken Seite offenbar länger wachsen ließ, hatte eine helle, fast schon weiße Farbe, nur die Spitzen waren dunkel gefärbt.

Der Mann ihm gegenüber war der Kleinste von ihnen, jedoch war er dafür auch doppelt so breit wie seine Gefährten. Er wirkte stämmig wie ein Bär und seine Muskeln bildeten sich deutlich unter dem schwarzen Leder seiner Jacke ab. Das pechschwarze, lange Haar hatte er sich im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden und er trug ein rotes Kopftuch um die Stirn gewickelt. Der Dritte von ihnen saß mit dem Rücken zu mir am Tisch und das kinnlange, feuerrote Haar teilte sich in seinem Nacken und fiel ihn zu gleichen Teilen am Hals herab, als er sich nach vorne lehnte und sein Kinn offenbar in der Hand bettete. Auch er trug eine schwarze, engsitzende Lederjacke, wie seine Mitstreiter, allerdings erkannte ich auf seinem Rücken das Symbol eines großen, böse dreinblickenden Wolfskopf.

Ich ließ den Blick aus dem Fenster gleiten und die drei monströsen, schwarz lackierten Motoräder dort auf der Straße erregten sofort meine Aufmerksamkeit. Es war offensichtlich, dass sie zu den Männern mit den Lederjacken gehörten. Ob sie vielleicht eine Art Biker-Gruppe bildeten und hier nur einen Zwischenstopp einlegten?

 

Ich bemerkte eine Bewegung im Augenwinkel und als ich meinen Blick wieder auf die Männergruppe richtete, hielt ich erschrocken die Luft an. Der Rothaarige hatte sich auf seinem Stuhl herumgedreht, sein Blick war direkt auf mich gerichtet und seine dunklen, grauen Augen fixierten mich regelrecht. Warum starrte er so?

Mir wurde mulmig zu Mute, denn er wirkte beunruhigend, fast schon gefährlich, genauso wie der bedrohliche Wolf auf seinem Rücken. Ob ich etwas getan hatte, was ihn verärgerte? Ob es überhaupt einen Grund brauchte, um diesen scheinbar miesgelaunten Kerl mit den beängstigenden Augen zu verärgern? Ich musste die Gruppe nicht lange ansehen, um zu begreifen, dass der rothaarige Kerl ganz sicher ihr Anführer war. Ob die anderen beiden seine Artillerie darstellten, immer bereit, loszuschießen, wann immer er danach verlangte? Doch von welcher Art „losschießen“ sprachen wir eigentlich? Von reinen Wortgefechten? Sie würden doch nicht wirklich bewaffnet sein… oder?

Ich beobachtete, wie er schon fast in Zeitlupe die Hand hob und machte mich bereits auf das Schlimmste gefasst.  Doch das Unerwartete geschah. Nichts.

Ich zuckte zusammen, als er plötzlich laut mit den Fingern schnipste, wie ein Hypnotiseur, der wollte, dass man wieder aus seiner Trance erwacht.

„Wir wollen bestellen“, rief er mit einer tiefen Bass-Stimme und die angestaute Luft entwich mir, wie einem zusammengedrückten Quitscheentchen.
Ich biss mir verlegen auf die Lippe, als ich mir eingestand, wie albern ich mich doch schon wieder benahm. Diese Typen waren lediglich ein paar Kunden, mit einem etwas anderem Kleidungsstil, als ich ihn bisher gewohnt war. Kein Grund, sie direkt zu verurteilen, geschweige denn gleich mit dem nächsten Angriff einer ganzen Mafia-Organisation zu rechnen. Sowas lächerliches. Wahrscheinlich hatte ich nur wieder zu viele schlechte Filme gesehen und wurde allmählich paranoid.

 

Ich fischte mir flott den kleinen Notizblock vom Tresen und eilte schnellen Schrittes auf die kleine Gruppe zu, ehe ich mir letztendlich noch eine Beschwerde einhandelte.

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