Eine Nuss fiel geräuschlos von einem Baum zur Erde und beinahe zeitgleich landete ein kleines rotbraunes Eichhörnchen daneben, dass sich die Nuss schnappte und mit seinen großen Zähnen begann daran herum zu knabbern. Wildes Stimmengewirr drang an meine Ohren, doch das interessierte mich nicht. Nicht einmal Ino mit ihrer unnatürlich hohen Stimme, die gerade angestrengt versuchte Tenten von den Vorteilen einer Prada-Handtasche zu überzeugen, konnte wirklich zu mir vordringen. Meine Gedanken kreisten immer noch um Sasuke – oder besser gesagt um mein Versprechen. Wie konnte ich nur so in Panik verfallen sein, dass ich ihm meine Seele zugesichert hatte? 

Wie würde er wohl reagieren, wenn ich ihm heute Abend gestand, dass ich meine Meinung geändert hatte? Automatisch griff ich mir an den Hals. Das würde nicht gut enden. Vielleicht sollte ich umziehen. Das Land verlassen. Oder den Kontinent. Vielleicht den Planeten? 

Doch ich war mir sicher, das würde alles nichts bringen. Er war ja kein Mensch. Egal wo ich mich versteckte, ich wusste, dass er mich finden würde. Verdammter Dämon!

Vielleicht eine neue Identität? Ach Blödsinn, was dachte ich da? Ein neuer Name würde mich nicht schützen, wahrscheinlich kannte er meinen jetzigen Namen immer noch nicht. Für ihn war ich ‚das Mädchen‘. 

Mein Blick schweifte zu Ino, die gerade nach der Behauptung Tenten’s, dass ein lässiger Rucksack  genauso gut wäre wie eine Prada-Tasche, einer Ohnmacht nahe schien. Vielleicht konnte ich sie ja fragen, ob ich heute Nacht bei ihr schlafen könnte. Ich war mir sicher, sie hätte nichts dagegen und eventuell konnte ich somit einen weiteren Tag gewinnen. 

Doch den Gedanken verwarf ich wieder, als ich mir vorstellte, wie Sasuke plötzlich vor uns in Ino’s Zimmer auftauchte und wieder zu seinem üblichen ‚Gib-mir-deine-Seele‘-Gelaber ansetzte. Nein, das konnte ich Ino nicht antun. 

Ein lautes Klingeln ertönte und beendete somit die große Pause. Ich schmiss achtlos mein Trinkpäckchen weg, das ich die letzten 10 Minuten gedankenverloren ausgetrunken und im Anschluss durchgeknetet hatte und folgte Tenten und Ino ins Schulgebäude, während Letztere Tenten über ihre fehlendes Verständnis für Mode tadelte.

 

Ein normaler Schultag mit seinen 8 Schulstunden, dauerte meistens ewig. Ich mochte die Schule zwar, aber das ewige Sitzen und stille Zuhören zu meist uninteressanten Themen war oft anstrengender, als es sich zunächst anhörte. Doch heute konnte ich davon beinahe nicht genug bekommen und jeder Stunde die endete, weinte ich gedanklich Tränen hinterher. Die Welt hatte es scheinbar eilig mich loszuwerden. Denn eine gute Idee, wie ich mich aus der ganzen Sache wieder befreien konnte, war mir nach wie vor nicht gekommen. 

Als auch die letzte Stunde vorbei war, packte ich ziemlich geknickt meine Sachen zusammen, während die meisten bereits wie wild aus dem Raum stürmten. Wenigstens blieb mir noch ein ruhiger Nachmittag mit meinen Freundinnen, bevor ich nach Hause – in die Hölle – musste. 

„Ciao, Saku“, rief mir Tenten zu und wollte gerade ebenfalls aus dem Raum stürmen, als ich jedoch ein fragendes „Hä?“, hinterher warf. Sie blieb stehen und sah mich vielsagend an. 

„Na heute ist Donnerstag, ich habe Training. Das weißt du doch.“ Sie grinste mir noch einmal zum Abschied zu und war auch schon verschwunden. Stimmte ja, es war Donnerstag. Tenten hatte jeden Montag und Donnerstag Karatetraining und schien diesem Sport total verfallen zu sein. Eigentlich war sie jedem Sport total verfallen, denn ob nun mit Händen und Füßen, Bällen oder Schlägern, Tenten liebte alles solange sie sich körperlich betätigen konnte. Sie war eher der körperliche Mensch, während ich selbst der reinste Sportmuffel war. Meine Stärke lag eher im intellektuellen Bereich, wo jedoch Tenten total versagte. Wir waren wie die passenden Gegenstücke zueinander. Und dann gab es noch Ino, die irgendwie beides gut konnte. Sie war halt die perfekte Mitte. Schlau, sportlich, wunderschön und total beliebt. Das absolute Idol unserer Schule – und ich ihre Freundin. Ich drehte mich grinsend zu ihr um und freute mich auf einen weiteren gemeinsamen Nachmittag mit ihr, als sie jedoch schon an mir vorbeirauschte und mir ein: „Bis morgen, Saku“, zurief. 

„Hey, warte. Wo willst du hin?“, fragte ich und war ernsthaft entsetzt, dass sie nun auch das Weite suchen wollte. 

„Na ich habe dir doch gestern erzählt, dass mich heute meine Mutter abholt und wir zusammen zu meiner Oma fahren. Ich habe dich vorhin sogar nochmal daran erinnert. Also wo bist du nur momentan mit deinen Gedanken?“, fragte sie mich und ihr Tonfall ließ erkennen, dass sie kurz davor stand mich einweisen zu lassen. Geknickt ließ ich die Schultern hängen, als es mir wieder einfiel.

„Ja stimmt, tut mir Leid, hatte ich wohl vergessen“, murmelte ich und sie winkte mir zum Abschied noch schnell zu und mit einem gut gelaunten „Bis morgen dann“, war sie auch schon aus dem Raum verschwunden. 

„Ja, bis morgen“, flüsterte ich noch, wohlwissend, dass sie es nicht mehr hören konnte und es kein Morgen mehr geben würde. 

 

So war das nun also, mein letzter Tag war gekommen und ich konnte ihn nicht einmal mit meinen Freundinnen verbringen. Meine Eltern würde ich auch nicht mehr sehen, da sie ja wieder erst spät nach Hause kommen würden. So hatte ich mir mein Ableben nun wirklich nicht vorgestellt. Ich entschloss mich anstatt Bus zu fahren, den Heimweg durch die Stadt zu nehmen. Normalerweise brauchte ich mindestens zwei Stunden, wenn ich diesen Weg zurücklegte, doch heute störte mich das nicht. Die Sonne schien und eilig hatte ich es auch nicht. Unterwegs traf ich ein paar spielende Kinder, Menschen, die einkauften, Pärchen, die Händchenhaltend durch die Straßen liefen und alle schienen bester Laune zu sein. An einem kleinen Eiscafé blieb ich stehen und beschloss, mir den größten Eisbecher zu gönnen, den sie im Angebot hatten. Ino war strikt gegen so etwas, da sie meinte, es würde die Figur ruinieren, doch als eine gute Henkers Mahlzeit war Eis durchaus geeignet. Denn das war es, sollte mir nicht widererwartend doch noch ein genialer Gedanke kommen um mich zu retten. 

 

Ich ließ mir mit dem Essen Zeit. Viel Zeit. So viel Zeit, dass die Sonne bereits unterging, als ich seelenruhig über die große Brücke schlenderte. Gedankenverloren blickte ich herunter und betrachtete das fantastische Farbenspiel aus rosa, gelb, orange, lila und ganz leichtes rot, als sich der bunte Abendhimmel im Wasser spiegelte. Die Beleuchtung der Straßenlaternen war bereits angeschaltet und das helle Licht spiegelte sich ebenfalls im Wasser. Geistesabwesend schob ich meine rechte Hand in die Jackentasche meiner dünnen Strickjacke. Dort ertastete ich den kleinen Wolfsanhänger und bemerkte erschrocken, dass ich bei dem Anblick vor mir, mein eigentliches Problem beinahe vergessen hätte. 

Dieser Talisman war überhaupt erst an allem Schuld! Sasuke hatte gesagt, dass dieser kleine Anhänger ein Vertragssiegel war und mich mit ihm verband. Hätte ich ihn doch nur nicht gefunden, ihn nicht an mich genommen, ihn in diesem dämlichen Fluss ertränkt, dann hätte ich niemals die Begegnung mit Sasuke gemacht. Ich blieb abrupt stehen und umfasste den Anhänger fester, als mir die Idee kam, die mich doch noch retten konnte. Ich wirbelte herum, holte aus und schmiss den Talisman mit voller Kraft über das Geländer direkt in den Fluss. Als ich das erlösende Platschen hörte atmete ich erleichtert auf. Wie hatte ich da noch nicht eher drauf kommen können? Kein Talisman, kein Vertrag, kein Sasuke… Es war die ganze Zeit so einfach gewesen, doch ich hatte den Wald vor lauter Bäume nicht gesehen. 

Zufrieden wollte ich meinen Weg fortsetzen, doch als ich mich wieder umdrehte, schrie ich erschrocken auf. Vor mir stand niemand anderes als Sasuke, der mich mit wütend aufblitzenden Augen ansah.

„Was glaubst du bitte, was du da tust?“, seine Stimme war laut, erschreckend laut und dröhnte mir in den Ohren. 

„Ich… ich…“ Mir blieben die Worte weg und ich war vor Angst wie gelähmt. Meine Knie schlotterten und damit ich nicht zusammenbrach, umfasste meine rechte Hand das Geländer neben mir.  

Warum tauchte er hier auf? Ich hatte den Anhänger doch weggeschmissen, aber offensichtlich bewahrte mich das nicht vor seiner Wut. 

„Ich… Ich hab den Anhänger weggeschmissen. Wir… wir haben keinen Vertrag mehr“, ich brachte die Worte nur schwer heraus, allerdings war meine Stimme leise und brüchig. 

„Von was redest du?“, fragte er und ich runzelte die Stirn. 

„Na der Talisman. Ich habe ihn in den Fluss geworfen. Somit haben wir nichts mehr, was uns verbindet“, erklärte ich. Stellte er sich absichtlich dumm? Er musste sich doch besser mit diesem ganzen Vertrags- und Dämonenzeugs auskennen als ich. 

„Nein hast du nicht“, sagte er und ein diabolisches Grinsen umspielte seine Lippen. „Der Vertrag besteht weiterhin.“ Langsam verebbte die Angst und Wut trat an ihre Stelle. Wollte er mich auf den Arm nehmen? Mich veralbern? Mich für dumm verkaufen? Was sollte das? 

Ich ließ meine Hand nochmal in meine Jackentasche gleiten, um ihm zu zeigen, was ich meinte.

„Ich hatte den Anhänger in dieser Jackentasche, habe ihn herausgenommen und in den Fluss- “, ich brach meinen Satz ab und meine Augen weiteten sich, als meine Finger einen kleinen metallenen Gegenstand ertasteten. Unmöglich! Ich zog ihn heraus und starte mit offenem Mund auf den kleinen Wolfsanhänger, der trocken in meiner Hand lag, als wäre nie etwas gewesen.

„Aber… ich habe doch…. und es hat geplatscht… aber jetzt…“, wirre Worte verließen meinen Mund, als mein Gehirn versuchte das Geschehene zu verarbeiten. Wäre Sasuke’s selbstgefälliges Grinsen nicht gewesen, hätte es sicherlich noch länger gedauert. 

„Wie hast du das gemacht?“, fauchte ich, doch er zog nur spöttisch eine Augenbraue nach oben.

„Hast du wirklich gedacht mich so einfach loszuwerden?“ Für seinen arroganten Blick und diesen herablassenden Tonfall hätte ich ihm am liebsten direkt ins Gesicht geschlagen. Doch ich beließ es bei einem Schnauben und stolzierte erhobenen Hauptes an ihm vorbei, wohl die Tatsache überspielend, dass ich ganz genau das gedacht hatte. 

Hinter mir hörte ich ein amüsiertes: „Dummes Mädchen.“

„Ich heiße Sa-ku-ra“, brüllte ich und drehte mich wütend zu ihm um, doch er war bereits wieder verschwunden. 

„OH DIESER VERFLUCHTE DÄMON!“, schrie ich laut. „Scher dich doch endlich zum Teufel.“

 

Das Feuer im Kamin knisterte, als ich abends in eine Decke gewickelt in unserem Wohnzimmer saß und versuchte mir den geschichtlichen Verlauf der Industriellen Revolution einzuprägen. Allerdings flogen die Zahlen und Ereignisse nur so an mir vorbei, denn meine Konzentration hatte sich bereits vor Stunden verabschiedet. Meine Gedanken kreisten nach wie vor um Sasuke und den Anhänger. Ich war mittlerweile davon überzeugt, dass der Schlüssel, wie ich diesen penetranten Wolfsdämon loswerden würde, in dem Talisman lag. Nur wie wurde ich dieses kleine Schmuckstück los, ohne dass er ihn mir einfach wieder zurückbrachte? 

In Gedanken war ich schon sämtliche Situationen durchgegangen, vom Verschicken in die Antarktis, übers einfache Zerstören, bis hin zum Weitergeben an eine andere Person. Doch ich würde das  keiner anderen Person zumuten wollen. Somit stellte mich keiner meiner Einfälle wirklich zufrieden und daher blieb mir nichts als einfach weiter zu grübeln. Mit einem Seufzen schloss ich das dicke Geschichtsbuch und legte es auf unseren rechteckigen Holztisch. Meine Hand griff nach dem Anhänger und nachdenklich ließ ich ihn auf meiner Handfläche liegen. Ich fragte mich, aus welchem Stoff er wohl gemacht war und tippte in erster Linie auf ein Metall. Vielleicht Zinn? Ich wusste, dass viel Modeschmuck und Ziergegenstände aus Zinn gefertigt wurden, weil das Metall leicht zu verarbeiten war. Gedanklich wiederholte ich den gelernten Stoff aus dem Chemieunterricht: Zinn mit dem Elementesymbol Sn und der Ordnungszahl 50 war ein sehr weiches, silberweiß glänzendes  Schwermetall mit einem für Metalle sehr niedrigen Schmelzpunkt. Ich nickte mir selbst zur Bestätigung zu.

Allerdings handelte es sich hier nicht um einen einfachen Ziergegenstand, sondern um einen Talisman aus der Hölle. Und wie und woraus dort Gegenstände gefertigt wurden, wusste ich nun wirklich nicht.  

Mein Blick wanderte zu unserem offenen Kamin, in dem das Holz brach und unter Knistern weiter in sich zusammensackte. Es war Anfang Mai und eigentlich zu warm für ein Feuer, doch in letzter Zeit fühlte ich immer mehr die Verzweiflung in mir aufsteigen, die eine unangenehme Kälte hinterließ. Auch wenn das Feuer nicht bis zu meinem Innersten vordringen konnte, wärmte es wenigsten für kurze Zeit.  

 

Meine Hand schloss sich wütend um den kleinen Wolfsanhänger, denn an diesem ganzen Gefühlschaos war ganz allein Sasuke Schuld. Ich stand ärgerlich auf und meine Füße trugen mich nahezu allein durch den Raum. Ein böses Grinsen legte sich auf mein Gesicht, als ich den Talisman zornig in die Flammen schmiss. 

Ich war gereizt, wütend und es bereite mir eine unglaubliche Genugtuung das kleine Schmuckstück umschlungen von Flammen zu sehen. Ich wollte, dass es brannte, dass es schmolz und sich in Luft auflöste. Und Sasuke am besten gleich mit ihm. 

Ob es eine gute Idee war, wusste ich nicht, denn mein Verstand war zu verschleiert. Vielleicht war der Stoff gar nicht brennbar und der Anhänger würde morgen früh unbeschadet in der Asche liegen, oder er schmolz vor sich hin und verbreitete giftige Dämpfe, sodass meine Familie und ich alle erbärmlich ersticken würden. Doch im Moment erkannte ich die Gefahr nicht, ließ mich treiben von der Wut, die sich in mir aufgestaut hatte.

Mit einem triumphierenden Grinsen drehte ich mich um und wollte das Wohnzimmer verlassen, als ich plötzlich einen heftigen Schmerz am Hinterkopf spürte. Ich drückte die Hand auf die schmerzende Stelle und sah mich danach um, wer oder was mich geschlagen hatte. Als ich jedoch niemanden sah, stutzte ich leicht und mein Blick glitt zum Boden. 

Dort lag doch tatsächlich der kleine Anhänger, welcher noch etwas qualmte aber sonst unbeschadet schien. Mir blieb der Mund offen stehen, als mir bewusst wurde, dass das Feuer mich praktisch mit dem Anhänger bespuckt hatte und ich könnte schwören Sasuke’s arrogantes Grinsen in den Flammen zu sehen. Ich stieß einen wütenden Kampfschrei aus, gefolgt von unzähligen Ausrufen, wie: „Mistkerl!“, „Verschwinde!“ und weiterem Gebrüll, während ich mit meine Häschenpantoffeln auf den kleinen wehrlosen Talisman einstampfte. Mir war bewusst, dass ich ihn nicht zerstören konnte, aber es tat gut meinen Frust abzulassen. Ich wusste nicht, wie lange ich getobt und auf den Anhänger eingetreten hatte, aber ich fühlte mich danach ausgelaugt und unglaublich erschöpft. 

Im gleichen Moment hörte ich, wie die Tür geschlossen wurde, als meine Eltern nach Hause kamen. Müde trottete ich in mein Zimmer, fiel kraftlos ins Bett und schlief sofort ein.

 

Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, war mein erster Gedanke, dass ich noch am Leben war. Kein Sasuke war in der vergangenen Nacht aufgetaucht und hatte sich einfach an meiner Seele bedient. Oder hatte er das doch getan und ich hatte einfach nur zu fest geschlafen um es mitzukriegen? War ich tot und befand mich im sogenannten Jenseits? 

Nervös sah ich mich um, bemerkte jedoch, dass ich mich nach wie vor in meinem Zimmer befand. Das Jenseits konnte unmöglich so aussehen.

Langsam stieg ich aus dem Bett und wollte ins Bad gehen um mich frisch zu machen, als ich jedoch geschockt vor meinem großen Spiegel innehielt. Ich sah furchtbar aus! Meine langen rosa Haare standen unwillkürlich in alle Richtungen ab, meine Hautfarbe hatte einen unnatürlich blassen Ton angenommen und unter meinen Augen prangten dicke, fette Augenringe. Ich fühlte mich nicht nur total ausgelaugt, sondern man sah es mir auch noch an.

Frustriert verzog ich mich ins Bad, wohlwissend heute nicht nur die doppelte Zeit, sondern auch die doppelte Menge Make-up zu benötigen.

 

Eine dreiviertel Stunde später verließ ich das Haus und hätte beinahe laut aufgestöhnt, als er wie bereits letzten Morgen vor unserem Garagentor stand und scheinbar auf mich wartete. Ich ließ ihn jedoch stehen und bog auf den gewohnten Waldweg ein, machte mir aber nicht die Mühe wieder meine Schritte zu beschleunigen. Er würde mich sowieso wieder kriegen, wenn er wollte.

„Willst du den Talisman wieder in den Fluss werfen?“, hörte ich ihn belustigt fragen. Er klang spöttisch und machte sich mal wieder offen über mich lustig. 

Die Wut des vergangenen Abends, von der ich dachte, sie wäre vollständig aufgebraucht, keimte erneut in mir auf und ich keifte laut: „Verschwinde endlich!“

„Es wird langsam langweilig. Fällt dir nicht mal was Neues ein?“ Er blieb hinter mir stehen und ich drehte mich zu ihm um.

„Das sagt ja der Richtige“, fauchte ich ihn an, „Du kennst auch nichts anderes, als dein blödes ‚Gib-mir-deine-Seele-Gequatsche‘.“ Seine schwarzen Augen begannen regelrecht zu funkeln, als er wütend wurde, doch scheinbar schluckte er seinen Zorn einfach so herunter, denn im nächsten Moment wirkte er wieder ganz ruhig.

„Nun zum Glück muss ich dich ja nicht mehr dazu auffordern. Schließlich hast du mir gestern deine Seele ja bereits zugesichert. Leider bist du gestern Abend zu schnell eingeschlafen und so musste ich bis jetzt warten. Aber ich habe ja Geduld“, meinte er und machte eine auffallende Handbewegung, als erwarte er auch noch meine Dankbarkeit. 

„Gut denn die wirst du auch brauchen. Ich werde dir weder jetzt noch in Zukunft meine Seele geben“, meine Stimme vibrierte in meinem Brustkorb, als ich ihm den letzten Teil beinahe entgegenschrie. „Und mir ist es egal, was du mit mir anstellst und wie viel Angst du mir machst. Das wird an meiner Meinung nichts ändern.“

Erst als die Worte meinen Mund verließen, wurde mir bewusst, dass sie auch der Wahrheit entsprachen. Ich war vielleicht nur ein kleines einfaches Mädchen, aber dennoch hatte auch ich meinen Stolz und den hatte er in den letzten Tagen ziemlich angekratzt. Wenn ich schon keine Kraft oder Macht besaß um gegen ihn anzukommen, so blieb es mir nur noch übrig, auf die einzige Menschenart zu kämpfen, die ich kannte: ihm die Stirn zu bieten, ohne zurückzuschrecken. 

Ich sah den Zorn in seinen Augen aufsteigen und rechnete jeden Moment damit, dass er den Abstand zwischen uns überbrückte und mich angriff, doch nichts geschah. Er blieb weiterhin mit einem halben Meter Abstand vor mir stehen und sah mich einfach nur wütend an. 

„Oh doch, deine Meinung wird sich ändern. Ich bekomme deine Seele.“ Seine Stimme war durchzogen von einem tiefen Knurren und trotz meines Mutes machte ich kaum merklich einen Schritt zurück. Blöderweise bemerkte er es und fing in diesem Moment laut an zu lachen. 

Erschöpft ließ ich die Schultern hängen und meine Stimme nahm einen verzweifelten Unterton an: „Was soll das alles eigentlich?“, fragte ich. „Du sagst doch selbst, dass du keinen Vertrag mit einem ‚schwachen Mädchen‘ wie mir haben willst. Warum also verfolgst du mich so verbissen? Wir können doch diesen verdammten Vertrag einfach auflösen und du gibst diesen Talisman einfach jemanden anderes“, meinte ich und zog in dem Moment besagtes Stück aus meiner Jackentasche und wedelte damit vor seiner Nase rum, in der stillen Hoffnung er würde ihn mir vielleicht abnehmen. 

Er verschränkte jedoch nur die Arme vor der Brust und schob trotzig das Kinn nach vorne. „Nein“, war alles was er dazu sagte und irgendwie erinnerte er mich in diesem Moment an ein sehr störrisches Kind.

„Nein? Ist das alles, was du dazu zu sagen hast? Warum ausgerechnet ich? Es war doch kein Zufall, dass ich es war, die diesen Anhänger gefunden hat“, fauchte ich und nun war es an mir trotzig zu gucken. „Außerdem ist es mir auch egal was DU willst. Ein Vertrag kommt doch eigentlich nur zustande, wenn beide Parteien mit ihm einverstanden sind, oder nicht? Und das ist hier definitiv nicht der Fall! Denn ICH will das Ganze nicht.“ Zu dem wütenden Ausdruck in seinen Augen gesellte sich ein anderer, den ich jedoch nicht wirklich einzuordnen wusste. Unsicherheit? Zweifel? Vielleicht sogar Angst? Ich hatte keine Ahnung.

„Du weißt gar nicht, was du da redest“, sagte er mit fester Stimme, allerdings hatte ich das Gefühl, als wolle er sich in diesem Moment eher selbst davon überzeugen. „Oh doch“, behauptete ich, „Ich war mir noch nie sicherer. Wie ich sagte, ich will keinem Dämon meine Seele geben. Ich will diesen ganzen, blöden Vertrag nicht. Ich will DICH nicht.“

In seiner Miene spiegelte sich entsetzen und er sah aus, als hätte ich ihn geohrfeigt, mit einem Bulldozer überfahren oder mit einer Herde Elefanten überrannt. Er wandte den Blick ab und drehte sich langsam um. Der gekränkte Ausdruck auf seinem Gesicht überraschte mich und ich versuchte mich angestrengt an mein Gesagtes zu erinnern um zu verstehen, womit ich ihn verletzt haben könnte.

„Nun wenn das so ist, dann mach mit dem Talisman, was du willst. Ich werde dich nicht mehr aufhalten“, meinte er. Ich spürte einen leichten Windhauch, als er verschwand und in mir ein Chaos aus Verwirrung, Aufruhr und Schuldgefühlen hinterließ. 

 

Der Tag in der Schule gestaltete sich als ziemlich ruhig, doch ich schaffte es einfach nicht mit den Gedanken bei der Sache zu bleiben. Dieser verfluchte Dämon war absolut gerissen. Ich grübelte darüber nach, warum er plötzlich so verletzlich ausgesehen hat, schließlich hatte ich nichts gesagt, dass ich vorher nicht auch gesagt hätte und somit war die Antwort für mich eigentlich klar: Er wollte meine Schuldgefühle wecken, damit ich ihm als Folge dessen aus Mitleid einfach meine Seele auf einem Silbertablett servierte. Und das Schlimmste an der Sache war, dass er damit auch noch Erfolg hatte. Seitdem er heute Morgen verschwunden war, nagten fürchterliche Schuldgefühle an mir und mein Gewissen versuchte mir vehement einzureden, was für ein Biest ich doch gewesen sei. Dabei hatte ich doch eigentlich nichts Schlimmes getan! Es war zum verrückt werden.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als plötzlich eine Hand vor meinem Gesicht auftauchte, die dort wild umherwedelte. 

„Erde an Sakura, bist du noch bei uns?“, hörte ich Ino genervt fragen und ich wendete ihr meine Aufmerksamkeit zu.

„Ja entschuldige, was hattest du gesagt?“ Ich schenkte ihr mein schönstes Lächeln, doch sie zeigte sich unbeeindruckt und sah mich misstrauisch an. „Was ist nur los mit dir, Saku? Gestern hast du dich schon so merkwürdig verhalten und heute scheinst du nicht mal mehr zuzuhören“, warf sie mir vor und ich hob beschwichtigend die Hände.

„Tut mir wirklich Leid, Ino. Es ist einfach eine Phase… schätze ich. Ich habe momentan einfach ein bisschen viel um die Ohren.“ Ihr misstrauischer Blick wich einem besorgten und sie legte mir mütterlich die Hände auf die Schultern.

„Du weißt doch aber, dass wenn du ein Problem hast, du jederzeit mit mir über alles reden kannst, nicht wahr?“, fragte sie und ich nickte.

„Natürlich Ino, aber es ist wirklich nichts. Nur ein bisschen viel Stress, das ist alles.“ Sie schien nicht überzeugt, beließ es jedoch dabei. „Nagut, wie du meinst. Also ich habe dich gefragt, ob du heute Nachmittag mit Shoppen kommen möchtest. Ich habe vor ein paar Tagen diese traumhaften Christian Louboutin Schuhe in dem einen Laden gesehen und als ich gestern bei meiner Oma war, habe ich ihr davon erzählt, dann hat sie mir das Geld dafür gegeben und jetzt kann ich sie mir kaufen“, erzählte sie fröhlich und hüpfte aufgeregt auf und ab.

„Christian Louboutin?“, hörte ich Tenten fragen und Ino seufzte genervt. „Das sind die Schuhe mit der roten Sohle. Das hab ich dir doch schon tausend Mal erklärt“, erwiderte Ino aufgebracht und meine eingeworfene Frage bewahrte Tenten wahrscheinlich davor gelyncht zu werden: „Sind die Schuhe nicht unglaublich teuer? Ich glaube mich daran zu erinnern, dass die nicht unter 400 kosten.“

Ino winkte ab und meinte: „610 kosten die, die ich haben will, aber die sind ihr Geld auch Wert. Sie sind einfach göttlich.“ Mir fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, als ich den Preis hörte. „Und deine Oma gibt dir einfach mal so viel Geld für ein paar Schuhe? Versteh mich nicht falsch, ich weiß, dass sie nicht gerade wenig Geld hat, aber trotzdem…“

Meine Freundin zuckte jedoch nur mit den Schultern und verkündete: „Und wenn schon. Sie sagt ja selbst, ich bin ihre einzige Enkelin und dass sie froh ist, mir mit sowas eine Freude zu machen. Und wenn sie es mir schon anbietet, warum sollte ich das dann nicht annehmen? Aber egal, zurück zum Thema. Kommst du nun mit?“

Ich überlegte kurz und warf dann Tenten einen fragenden Blick zu, die links neben Ino saß und gelangweilt mit ihren Jackenärmeln spielte.

„Gehst du mit?“, fragte ich sie und Tenten nickte kurz. „Ja ich denke schon. Hab mich gestern nach dem Training noch in die Bücherei gesetzt und diesen blöden Geschichtsaufsatz zur Erfindung des mechanischen Webstuhls fertiggeschrieben. War ein ganz schönes Stück Arbeit, also wenn das nicht mindestens eine 2 wird, dann weiß ich auch nicht“, murmelte sie.

„Geschichtsaufsatz?“, fragte ich und Ino sah mich mit geweiteten Augen an. „Oh Gott, du lebst momentan wirklich hinterm Mars, was?“, fragte sie. „Wir sollen einen Aufsatz zu einer Erfindung aus der Industriellen Revolution schreiben. Dieser wird Montag eingesammelt und bewertet“, erklärte sie und mir wich das Blut aus dem Gesicht. Wie hatte das nur an mir vorbei gehen können? Es war Freitag und wenn ich den Aufsatz Montag abgeben sollte, konnte ich nur noch heute die Schulbibliothek nutzen. So ein Mist!

„Sieht so aus, als werden Tenten und ich alleine shoppen gehen“, verkündete Ino und erhob sich, als es laut zum Pausenende klingelte. Tenten folgte ihr missmutig und nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen schien sie den Umstand alleine mit Ino shoppen zu müssen, als Strafe aufzufassen.

 

Als die letzte Stunde vorbei war, trottete ich missmutig in unsere große Schulbibliothek und suchte mir einen Platz in der hintersten Ecke des Raumes. Ich konnte nur hoffen, dass die Recherche nicht allzu lange dauern würde. Ich lief die Regale entlang um zum Buchstaben G für ‚Geschichte‘ zu gelangen und murmelte die Buchstaben leise vor mich her.

„T… S… R… Q… P… O...“ Ich blieb beim letzten Buchstaben stehen und runzelte verwirrt die Stirn, als ich unter O den Begriff ‚Okkultismus‘ las. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass wir in unserer Schulbibliothek einen Okkultismus-Bereich hatten. Oder vielmehr hatte es mich bis jetzt nie interessiert. 

Gespannt ließ ich meine Finger über die Buchrücken wandern und die Titel der Bücher flogen an meinen inneren Auge vorbei: ‚Okkultismus: Geheimlehren, Geisterglaube, magische Praktiken‘, ‚Praxis der weissen und schwarzen Magie‘, ‚Fünf Bücher der Schwarzen Magie: Kornreuther, Herpentil, Scotus und Dee - Geister, Siegel und Beschwörungen‘

Ein Schmunzeln legte sich auf mein Gesicht, als ich verstand, dass wohl die meisten okkultistischen Bücher von Amateuren geschrieben wurden, die diese Dinge einfach nur unglaublich interessant fanden. Ich wollte gerade weitergehen, als jedoch ein kleines Buch meine Aufmerksamkeit erregte. 

Es war im Vergleich zu den anderen Büchern klein, beinahe winzig und sah ziemlich alt aus. Ich zog es aus dem Bücherregal und suchte nach einem Titel, fand jedoch keinen. Es hatte einen ziemlich alten, ausgefransten, braunen Ledereinband und die Ränder der Seiten waren von einem ausgeblichenen gelb. Als auch innerhalb des Buches nirgends ein Titel oder geschweige denn ein Autor zu finden war, nahm ich es einfach mit zu meinem Platz und blätterte ziellos darin herum. Mir stach eine schnörklige, unsaubere Kapitelüberschrift namens: ‚Kraft der Dämonen‘ in die Augen und  ich entschied mich, an dieser Stelle mit dem Lesen anzufangen:

 

„Dämonen, Wesen der Hölle, werden geboren und zu ewigen Leben verdammt. Ihr Geist ist durchzogen von Trauer und Schmerz. Keiner von ihnen wird mit einer Seele geboren und somit wird ihr Leben davon beherrscht, durch Verträge mit Seelenwesen, den sogenannten Menschen, die Seele seines Vertragspartners in sich aufzunehmen. Ein Dämon kann erst seine vollständige Kraft entfachen, wenn er im Einklang mit der von ihm aufgenommenen Seele steht. Je reiner die Seele, die er in sich aufnimmt, ist, desto mächtiger kann ein Dämon werden. Diese Macht bestimmt die Rangfolge in der Welt der Dämonen.“

 

Ich versuchte das Gelesene sacken zu lassen und dachte kurz darüber nach. Die Reinheit einer Seele bestimmte also die Macht eines Dämons. Ging es Sasuke die ganze Zeit nur darum Macht zu erhalten? Allerdings fragte ich mich langsam was genau eigentlich eine Seele war. In diesem Buch stand, dass ein Dämon sehr wohl einen Geist, aber keine Seele hatte. Bis jetzt hatte ich angenommen eine Seele und ein Geist wären das Gleiche, doch scheinbar war dem nicht so. Bedeutete das vielleicht, dass ich gar nicht sterben würde, wenn ich Sasuke meine Seele gab?

Ich blätterte ein paar Seiten weiter, bis ich die Überschrift: ‚Die Reinheit einer Seele‘ fand.

 

„Die Seele eines Menschen bestimmt seine Person, seine Erfahrung, seine gesamte Existenz. Sie erfüllt den Menschen, gibt ihm seine Wünsche, Hoffnungen und Träume und sie lässt ihn Lebensfreude spüren. Die Reinheit einer Seele bestimmt sich dadurch, wie viel Lebensfreude ein Mensch verspürt, wie selbstlos er ist, ob er sich nur um seine eigenen Belange kümmert oder auch auf seine Mitmenschen achtet. Nur eine reine Seele ist für einen Dämon wertvoll, denn ihre Reinheit steht im starken Kontrast zu seiner eigenen Finsternis und vervollständigt ihn, macht ihn vollkommen.“

 

Ich nickte kurz, denn eigentlich klang das Ganze gar nicht mal so schlecht. Doch was würde passieren, wenn ich ihm meine Seele tatsächlich gab? Würden mich dann meine Wünsche und Hoffnungen verlassen? Würde ich keine Lebensfreude mehr empfinden? Zwei Seiten weiter fand ich die Überschrift: ‚Vertrag‘ und las weiter.

 

„Hat der Dämon einen Menschen erwählt, so bindet er sich an ihn, indem er ihm sein Vertragssiegel zukommen lässt. Damit der Vertrag jedoch wirksam wird, muss sich der Dämon mit dem Menschen verbinden, indem er sein Blut in sich aufnimmt. Dieser Blutaustausch bindet Dämon und Mensch auf Lebzeit aneinander und nur der Tod kann den Vertrag brechen. Der Dämon ist nun dazu gezwungen dem Menschen seine Wünsche zu erfüllen, allerdings verlangt er für jeden Wunsch einen Kuss und ehe der Mensch es begreift, wurde ein Teil seiner Seele auf den Dämon übertragen. Stirbt der Mensch, so ist es dem Dämon für ein Jahrhundert nicht möglich einen neuen Vertrag zu schließen. In dieser Zeit ist er besonders verwundbar.“

 

Ich las noch ein paar Seiten weiter, fand allerdings nichts Wichtiges mehr. Ich grübelte gerade über der Frage, ob dieses Buch wohl von der Wahrheit sprach oder wieder nur ein zusammengestellter Blödsinn war, als mein Blick auf meine Armbanduhr fiel und mir bewusst wurde, dass ich verdammte zwei Stunden über diesem Buch gebrütet und nur noch eine Stunde zum recherchieren hatte. Panisch sprang ich auf und eilte in die Geschichtsabteilung, um mich endlich um meine Schularbeiten zu kümmern. 

 

Es war dunkel, als ich aus dem fast leeren Bus stieg und mich auf den Weg nach Hause machte. Ich hatte in der Stunde nur das Notwendigste recherchieren können und würde wohl das restliche Wochenende mit dem Schreiben des Aufsatzes zubringen. Mir entwich ein Seufzen, als der kühle Abendwind mich frösteln ließ und ich die Hände tief in den Taschen meiner Jacke vergrub. Ich spürte den Talisman gegen meinen Ringfinger stupsen, als er mit meinem Schritttempo auf und ab hüpfte. Automatisch dachte ich, wie irgendwie immer in letzter Zeit, an Sasuke. Wenn das Buch Recht hatte, dann hatte ich wohl mit meiner offenen Ablehnung ihm gegenüber dafür gesorgt, dass er mit meiner Seele keinen Einklang finden konnte. Somit warteten wohl hundert Jahre Verwundbarkeit auf ihn, denn einen weiteren Vertrag konnte er ja nun nicht mehr schließen. 

Mein Blick glitt die Brücke hinunter, über die ich gerade lief und ich zog meine rechte Hand samt Anhänger aus meiner Tasche. Ich beschloss, dass mich seine Probleme nichts mehr angingen und er hatte ja gesagt, dass er mich nicht aufhalten würde. Ich holte aus und wollte den Talisman ein weiteres Mal über das Geländer in den Fluss unter mir werfen, ihn aus meinem Leben verbannen und wieder frei sein. Doch in diesem Moment sah ich ein Bild von Sasuke vor mir, wie verletzt er gewesen war, als ich ihm entgegenschmetterte, dass ich ihn nicht wollte. Sein entsetzter Blick, die Enttäuschung, die er versuchte vor mir zu verbergen, als er sich abwandte, all das sah ich ein weiteres Mal vor mir. 

Mein Blick glitt zum Boden, als ich „Mistkerl“, flüsterte. Ich wollte ihn hassen, weil er hassenswert war. Er war egoistisch, brutal, rücksichtslos und… wahrscheinlich im Moment absolut unglücklich. 

Ich ließ die Hand sinken und murmelte leise: „Ach verdammt“, denn ich wusste, dass ich den Anhänger nicht wegwerfen konnte und hätte mich in diesem Moment am liebsten selbst für mein dämliches Mitgefühl geohrfeigt.  Mit einem Seufzen setzte ich meinen Weg fort und ließ den Talisman zurück in meine Tasche gleiten. 

 

Als ich in den dunklen Wald einbog, spürte ich, dass irgendetwas nicht stimmte. Sicher, es war immer gruselig, wenn ich im Dunkeln durch den Wald musste, doch heute war etwas anders. Irgendetwas lag in der Luft und das gefiel mir nicht. 

„Na wen haben wir denn da?“, hörte ich eine fremde Stimme fragen und zuckte ängstlich zusammen. 

„Wer… wer ist da?“, fragte ich und kniff die Augen zusammen, um in der Dunkelheit etwas erkennen zu können. Es gelang mir auch und ich erkannte etwa zwei Meter vor mir eine dunkle Silhouette.

„Süßes Mädchen bist du. Und wie du riechst“, meinte er und ich hörte ein einatmendes Geräusch. „Köstlich.“

Plötzlich stand er vor mir und aus der Nähe konnte ich ihn besser erkennen. Er war ungefähr einen halben Kopf größer als ich und hatte lange Haare, die ihm über die Schultern fielen. Seine Augen fixierten mich, sein Mund war zu einem grausamen Grinsen verzogen und er entblößte seine weißen, sehr spitz aussehenden Zähne. Ich schlug meine Hand vor Schock auf den Mund, als ich erkannte wer er war. Oder besser gesagt was: Ein Dämon!

„Na na, du brauchst doch keine Angst zu haben. Keine Sorge, ich werde es schnell machen, denn ich habe furchtbaren Hunger.“ Er leckte sich, wie zur Bestätigung mit der Zunge über die Lippen und ein Zittern durchfuhr meinen Körper. Ich drehte mich um und rannte in die entgegengesetzte Richtung, weg von ihm, doch kam ich nicht weit. Ich spürte einen stechenden Schmerz im Rücken, der mich zu Boden warf. Mein Körper vibrierte vom Sturz, als ich mich bereits wieder aufrappelte, denn ich spürte ihn kaum einen Meter hinter mir. Allerdings schaffte ich es lediglich in eine sitzende Position und ärgerte mich über meine eigene Schwäche. 

Ich drehte meinen Kopf zu ihm, als er einen halben Meter vor mir stand, sich jedoch nicht bewegte. Ein Schrei entwich meiner Kehle, denn ich spürte zwei Hände an meinen Handgelenken, die sie packten und mich nach oben auf die Beine zogen. Wie viele Hände hatte der Typ eigentlich?

Als ich einen Blick über die Schulter riskierte, weiteten sich meine Augen, denn hinter mir stand Sasuke. Den Mann vor uns schien er komplett zu ignorieren und sah mir stattdessen ins Gesicht. Er tat nichts, sagte nichts, sah mir einfach nur in die Augen und plötzlich löste sich seine linke Hand von meinem Handgelenk und wanderte auf mein rechtes zu, das er immer noch umfasst hielt.

Ich öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch seine dunklen Augen fixierten immer noch die meinen und brachten mich somit zum Schweigen. Ich spürte einen starken Schmerz an meinem Handgelenk und sah geschockt, dass er eine seiner scharfen Krallen dazu benutzte um mir die Haut aufzuschlitzen. Meine linke Hand schnellte nach oben, zog an seiner Hand um ihn aufzuhalten mir weiter wehzutun und mein ganzer Körper wurde schwer wie Blei, als ich mich gegen seine Kraft stemmte und versuchte von ihm wegzukommen. Was sollte das? Warum tat er mir weh? War er wütend wegen heute Morgen? 

Meine Befreiungsversuche hatten jedoch keinen Erfolg und entsetzt musste ich mit ansehen, wie er mein Handgelenk zu seinem Mund zog und das Blut ableckte, wie ein Hund einen Knochen. Hatte er sich jetzt etwa mit diesem anderen Dämon verbündet und mich als Rache auf die Speisekarte gesetzt? Das durfte doch nicht wahr sein. 

Er hatte die Augen geschlossen, als er mein Blut abgeleckt hatte, doch als er sie wieder öffnete waren sie blutrot, grausam und wunderschön. Mir blieb der Mund offen stehen. 

Sein Blick fixierte nun den Mann vor uns, der sich in der ganzen Zeit keinen Zentimeter bewegt hatte. Sasuke’s Stimme war rau und tief, als er sprach.

„Du musst es sagen. Sag, dass ich dir helfen soll“, forderte er mich auf und ich versuchte die Worte zu verstehen. Er wollte mir helfen? 

„Sag, dass ich dich beschützen soll“, wies er mich erneut an und seine Stimme wurde lauter, schärfer. Ich bemerkte, dass mir keine Zeit mehr zum überlegen blieb, denn der Mann, der kaum einen Meter vor uns stand, hatte sich bewegt. Er ging in die Knie und setzte zum Sprung an. Meine Gedanken überschlugen sich und ich tat, was er von mir verlangte.

„Ja, bitte… Beschütze mich“, flüsterte ich und das keinen Moment zu früh. Die Worte hatten kaum meinen Mund verlassen, als ich den grausamen Schrei des anderen Dämons hörte, als er auf uns zu sprang. Ich stürzte unsanft zu Boden und sah gerade noch, wie Sasuke einen Satz über mich hinwegmachte und laut mit dem Fremden zusammenstieß. Ein harter Schlag, Knochen auf Knochen und der andere Dämon segelte mehrere Meter durch die Luft, ehe er gegen einen Baum stieß. Ich wendete den Blick ab und bedeckte meine Ohren. Ich wollte diesen Kampf nicht hören, wollte diese Grausamkeit nicht sehen, sondern ich hoffte nur, dass es schnell vorbei sein würde. Hatte Sasuke überhaupt eine Chance gegen ihn? 

Es war Sorge, die mich nun doch meinen Blick heben ließ und meine Augen suchten die Umgebung nach Sasuke ab. Zu meiner Erleichterung sah ich ihn gerade auf mich zukommen. Er wirkte nicht erschöpft, kaum zu glauben, dass er gerade gegen einen feindlichen Dämon gekämpft hatte. 

Er blieb vor mir stehen und ich rappelte mich zittrig auf. 

„Wo… wo ist er?“, fragte ich und suchte die Dunkelheit nach einer weiteren Silhouette ab, die ich jedoch nicht fand.

„Tot“, sagte er einfach und klang dabei ziemlich gleichgültig. Ich lächelte ihn an und wollte ihm gerade danken, als er jedoch meinen Hinterkopf packte, zu sich zog und seinen Mund auf meinen presste. Meine Augen weiteten sich, als ich mir bewusst wurde, dass mir dieser Dämon gerade meinen ersten Kuss raubte. Unfähig mich zu bewegen, starrte ich auf seine geschlossenen Augenlider und als er sich von mir entfernte, grinste er selbstgefällig. 

„Ich sagte doch, ich kriege deine Seele“, meinte er grinsend und ich begriff erst jetzt, was das alles sollte. Er hatte mich nicht verletzt, weil er auf Rache aus war, sondern weil er mein Blut brauchte um den Vertrag zu vollenden. Daher musste ich ihn auch darum bitten mir zu helfen. Es galt somit als Wunsch und als Gegenleistung stand ihm ein Teil meiner Seele zu. 

Ein Dämon verlangt für jeden Wunsch einen Kuss und ehe der Mensch es begreift, wurde ein Teil seiner Seele auf den Dämon übertragen. 

Meine Finger legten sich auf meine Lippen und die Röte schoss mir in den Kopf. Ein Teil meiner Seele gehörte nun also ihm, aber ich fühlte mich nicht anders als vorher. Nur unglaublich verlegen, aber das lag wohl einfach an seinem Kuss.

„Aber heute Morgen… du sagtest doch, dass du…“ Er unterbrach mich leise und drehte mir den Rücken zu: „Du hast ihn nicht weggeschmissen,… den Talisman.“ Mir stockte der Atem, als er mir sein Gesicht zuwandte, denn zum ersten Mal sah ich ihn lächeln. Es war dieses Mal kein spöttisches Grinsen, kein grausames Verziehen der Mundwinkel, nein er lächelte einfach nur und mein Herz begann ungewöhnlich schnell zu schlagen. Dann streckte er mir die Hand entgegen.

„Komm“, meinte er und ehe ich es überhaupt bemerkte oder gar begreifen konnte, hatte ich seine Hand ergriffen. Zusammen liefen wir nach Hause. Was für ein merkwürdiger Tag.

 


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Kommentare: 1
  • #1

    4centVonFAnfiction (Donnerstag, 30 Juni 2016 13:52)

    Ursprünglich: Sonntag, 03 August 2014 02:12
    Verdammt nochmal ist das Kapitel gut.
    Ich versteh das mit deiner Familie :s
    Ich hoff das es ihnen bald besser geht.
    Schreib so schnell es geht weiter. daaankeschoen :))