Ich lag mit ausgestreckten Armen auf meinem Bett und starrte an die weiße Decke. Das Fenster hatte ich weit geöffnet, um etwas von der frischen Abendluft in mein Zimmer zu lassen. Die weinroten, schweren Vorhänge kräuselten sich leicht im Wind und es war angenehm kühl im Zimmer. Ich lag schon eine ganze Weile hier und dachte nach. Ich hatte Ino heute ein Versprechen gegeben, von dem ich nicht einmal wusste, ob ich es halten, geschweige denn umsetzen konnte. Der Vertrag mit Sasuke war vollzogen und nun gab es keinen Weg zurück. Würde ich mich ihm erneut verweigern, standen ihm nicht nur hundert Jahre Verwundbarkeit bevor, sondern auch die Zerstörung seines Traumes.  Konnte ich wirklich mein eigenes Glück derart über das eines anderen stellen? War das wirklich fair? Ich schüttelte leicht den Kopf. War es nicht, das wusste ich. Doch ich brachte es auch nicht über mich mein Versprechen gegenüber Ino zu brechen. Sie war nicht nur meine beste Freundin, sondern auch meine erste. Sie hatte mir mehrere Male gezeigt, dass sie zu mir stand, egal was war und nicht ein einziges Mal um eine Gegenleistung gebeten. Wie konnte ich sie da jetzt enttäuschen? 

„Du starrst nun schon seit Stunden die Decke an und gibst merkwürdige Geräusche von dir. Willst du nicht langsam mal was anderes machen?“ Sasuke’s arrogante Stimme war im Moment das Letzte, was ich brauchte. „Lass mich in Ruhe“, fauchte ich und wandte ihm demonstrativ den Rücken zu. „Ich denke nach.“

„Du und nachdenken? Langsam, wie du bist, wirst du damit wohl selbst in einer Woche noch nicht fertig sein.“ Sein spöttisches Lachen machte mich wütend. Ich setzte mich ruckartig auf und funkelte ihn böse an. Er lag gelangweilt auf meinem Teppich, hatte den Kopf in seiner Hand gebettet und beobachtete mich. 

„Halt deine Klappe! Das alles ist sowieso nur deine Schuld.“ Der gelangweilte Ausdruck auf seinem Gesicht wich einem wütenden, ehe er zu einer Antwort ansetzte: „Wie bitte? Ich bin Schuld an deiner Langsamkeit?“

„Nein, aber du bist schuld daran, dass ich Ino versprechen musste, mich von dir fernzuhalten. Wenn du dich einfach an unsere Abmachung gehalten hättest und nicht vor der Schule aufgetaucht wärst, wäre das alles nicht passiert“, wetterte ich und ließ mich mit einem lauten Stöhnen wieder zurück in die Kissen sinken. 

„Ich HABE mich an unsere Abmachung gehalten“, betonte er, „Wir sagten, ich solle dich IN der Schule in Ruhe lassen und das habe ich getan. Außerdem ist dieses kleine Blondchen noch dümmer als sie aussieht, wenn sie sowas von dir verlangt.“

„Ino ist nicht dumm“, verteidigte ich sie und griff nach einem Kissen, dass ich stark an mich presste. „Nur verliebt.“

„Verliebt in wen?“, fragte er ahnungslos und in Gedanken stellte ich mir die Frage, wer hier jetzt der Dumme sei.

„Na in dich“, erklärte ich. „Sie will daher, dass ich mich von dir fernhalte, damit sie freie Bahn hat und du dich nicht in jemand anderen, wie mich oder sonst wen verlieben könntest.“ Aus dem Augenwinkel warf ich einen Blick auf Sasuke, um seine Reaktion zu beobachten. Er starrte mich bewegungslos an, ehe er in schallendem Gelächter ausbrach. „Ich? Ich soll mich in ein schwaches, kleines Menschenmädchen, wie dich verlieben?“, lachte er. „Deine Freundin hat offensichtlich Sinn für Humor.“

Ich lief rot an vor Wut und Scham und schmiss das Kissen, das ich noch vor einer Sekunde an mich gedrückt hatte, nach ihm. Er wich diesem mit einer einfachen, kleinen Bewegung aus, beruhigte sich jedoch wieder und fügte mit kühler Stimme an: „Darum braucht sie sich keine Sorgen machen.“ Ich wusste nicht, warum mich seine Worte derart verletzten, jedoch schluckte ich den Schmerz einfach runter. Für sowas war nun keine Zeit. 

„Das weiß ich auch“, blaffte ich, „Doch wie soll ich ihr das erklären? Ich kann ihr unmöglich die Wahrheit sagen.“ Er zuckte nur unbeteiligt mit den Schultern und betrachtete mich mit einem wütenden Blick. „Denk nicht mal daran, dieses dämliche Versprechen einhalten zu wollen. Wir haben einen Vertrag, vergiss das nicht.“  Ich seufzte leise und drehte ihm wieder den Rücken zu. Es war sinnlos darüber mit ihm zu sprechen. Er war ja doch nur auf sein eigenes Wohl aus.

„Außerdem quatscht diese Blondine zu viel. Sie ist dumm und egoistisch. Was willst du mit einer Freundin, die ihr eigenes Wohl über das deine stellt? So eine Freundschaft brauchst du nicht.“ Ich kämpfte gegen das unangenehme Gefühl an, dass sich in meinem Körper auszubreiten drohte. Ich wusste, dass er damit falsch lag, denn Ino war kein schlechter Mensch. Sie hatte immer zu mir gehalten und mich zu dem gemacht, was ich heute war. Wie konnte ich sagen, dass ich die Freundschaft einer solch wunderbaren Person nicht brauchte, sie nicht wollte? Es wäre nichts weiter als eine große, fette Lüge.

Meine Stimme war ein Flüstern, fast nur ein Hauch, als ich sprach: „Das verstehst du nicht.“

 

Rückblick: 

Zehn Jahre zuvor…

Die Sonne ging langsam unter und die Dämmerung setzte ein.  Es war ein angenehmer Tag gewesen, warm und sonnig. Der perfekte Tag um im Park zu spielen. Mittlerweile waren schon fast alle nach Hause gegangen und es wurde still im Park. Nur ein leises Weinen war noch zu hören. Mein Weinen. 

Mein Vater hatte mich diesen Nachmittag in den Park gefahren, damit ich mit den anderen Kindern spielen konnte. Doch wie immer spielte keiner mit mir. Ich war einfach nicht hübsch genug und jeder lachte über meine breite Stirn. Die anderen Kinder spielten mir Streiche und ärgerten mich. Auch heute wieder. Koji hatte ein neues Spiel erfunden: ‚Triff die Breitstirn‘. Nun bewarfen mich die anderen mit kleinen Murmeln und versuchten meine Stirn zu treffen. Es tat weh. 

Lange Zeit hatte ich die Tränen zurückgehalten, denn ich wollte nicht, dass sie mich weinen sahen. Doch nun, da keiner mehr da war, konnte ich den Tränen freien Lauf lassen und hatte mich weinend auf dem Weg zusammengekauert. Ich wollte nur noch nach Hause. Wann mich mein Vater wohl endlich abholen würde?

Ich hörte leise Schritte auf mich zukommen und sah auf. Es war ein Mädchen, ungefähr in meinem Alter, mit blonden, schulterlangen Haaren  und hellen blauen Augen. Ich wollte mir erst die Tränen abwischen, doch zu spät, sie hatte mich bereits weinen gesehen. Außerdem, was würde es bringen, es wie immer zu verstecken? Sie war sowieso hier um mich zu ärgern, wie all die anderen auch. 

Das fremde Kind blieb vor mir stehen und hockte sich zu mir.

„Sag mal, bist du nicht das Mädchen, das sie immer wegen ihrer breiten Stirn hänseln?“, fragte sie mich. Ich blickte verwirrt zu ihr auf, denn mich überraschte der freundliche Ton in ihrer Stimme. 

„Wer bist du denn?“, fragte ich sie. 

„Wer, ich? Ach, das kannst du ja nicht wissen. Mein Name ist Ino Yamanaka und wie heißt du?“ Ich versuchte abzuwägen, ob das vielleicht ein Trick war und sie nur versuchte mich reinzulegen, doch was würde mein Name ihr schon nützen.

„Mein Name ist…“, ich schluchzte leise, „…Sakura.“ Meine Stimme zitterte leicht und ich traute mich nicht, laut zu sprechen.

„Was? Hallo? Ich kann dich gar nicht verstehen. Versuchs noch einmal, ok? Wer bist du?“, fragte sie erneut und langsam wurde ich wütend. Was wollte dieses fremde Mädchen nur von mir?

„Mein Name ist Sakura“, schrie ich sie an. Sie setzte ein freundliches Lächeln auf und meinte: „Schon viel besser.“ Ich spürte einen leichten Druck an meiner Stirn und riss überrascht die Augen auf. Das Mädchen, namens Ino, tippte mir leicht gegen die Stirn und schien zu überlegen.

„Also das hier ist die berühmte Stirn, huh? Wow, die ist wirklich breit“, meinte sie und ich senkte beschämt meinen Blick. Sie kam also doch um mich zu ärgern. 

„Ich nehme an, dass du deswegen auch den Pony trägst.“ Sie fuhr mit ihrer Hand unter meine langen, dicken Stirnfransen und schob diese leicht hoch.

„Das ist dumm. Das macht es doch nur noch schlimmer. Du siehst damit aus wie ein Hüttenhund“, sagte sie ehrlich und ich schluchzte laut auf. Sie legte den Kopf schief und sah mich noch eine Weile an, ehe sie meine Haare losließ und sich wieder entfernte. 

„Hey, weißt du was? Ich habe ein kleines Geschenk für dich. Komm morgen wieder hierher, in Ordnung?“ Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern verließ den Park ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich sah ihr noch eine Weile verdutzt nach und überlegte, ob ich ihr vertrauen konnte. Wurde sie von den anderen Kindern geschickt um sicher zu gehen, dass ich morgen wieder in den Park kam und sie weiter ihre blöden Spiele mit mir spielen konnten? Oder konnte ich ihr vielleicht glauben?

 

Ich wusste nicht, warum ich ihr vertraute, aber ich ließ mich auch am nächsten Tag von meinem Vater in den Park bringen. Wie abgemacht, war das blonde Mädchen auch da und noch bevor die anderen mich sehen konnten, kam sie zu mir gerannt und zerrte mich hinter einen Baum. Sie zog ein rotes Band aus ihrer Tasche und nestelte einen Moment mit meinen Haaren herum. Ich ließ sie verwirrt gewähren. Als sie fertig war und wieder einen Schritt zurücktrat, sah sie mich nachdenklich an, ehe sie breit zu grinsen begann.

„Hey, das sieht toll aus. Total anders, aber es steht dir viel viel besser“, rief sie entzückt aus. „Ich schenke dir das Haarband.“

Ich tastete an meine Stirn und bemerkte, dass sie meinen Pony, der sonst immer meine Stirn verdeckt hielt, mit dem Haarband zur Seite gebunden hatte.

„Oh, ehm…danke… Aber…“, stammelte ich und Ino sah mich missmutig an. „Was aber? Sag schon.“ 

„Meine Stirn fällt so auf“, platzte es aus mir heraus. Ino jedoch sah mich aufgebracht an und hob belehrend den Zeigefinger. „Ach komm schon“, beschwichtigte sie, „Sie fällt am meisten auf, wenn du so einen Wirbel darum machst, sie zu verstecken.“ Ich blickte schockiert in ihre blauen Augen. Sie fiel auf, weil ich sie versteckte? Das verstand ich nicht.

„Und dein Gesicht ist gar nicht so schlecht. Eigentlich finde ich, dass du ganz hübsch bist. Du musst einfach selbstbewusster sein.“ Eine leichte Röte legte sich auf meine Wangen, denn nie hatte mir jemand gesagt, dass ich hübsch war. „Selbstbewusster…“, murmelte ich und versuchte die Bedeutung dieses Wortes zu verstehen. 

Ino nahm mich mit zu den anderen Kindern. Es war mir nach wie vor unangenehm unter den anderen zu sein, gerade jetzt, wo alle meine Stirn sehen konnten, aber ich wollte mir Ino’s Rat zu Herzen nehmen und selbstbewusster auftreten. Einer der Jungs sah in unsere Richtung und winkte uns zu sich heran.

„Hi Ino“, rief er. „Hey, wen hast du da mitgebracht? Wer ist das?“ Ino sah aufmunternd zu mir. „Das ist Sakura.“, stellte sie mich vor und flüsterte danach leise: „Hey, wie wär’s wenn du mal Hallo sagen würdest?“ Ein Anflug von Schüchternheit überkam mich und ich versteckte mich schutzsuchend hinter ihr. „Ehm… hi“, sagte ich und die anderen hießen mich in der Gruppe willkommen. Dank Ino’s Hilfe hatte sich nie wieder jemand über mich oder meine Stirn lustig gemacht und das war der Beginn unserer langen, innigen Freundschaft. 

 

Am nächsten Morgen suchte ich noch einmal das Gespräch mit Sasuke. Ich bat ihn darum, sich dieses Mal wirklich von der Schule und mir fernzuhalten bis ich wieder zu Hause war. Ich wollte es unbedingt vermeiden, dass sich seinetwegen noch mehr Probleme anhäuften. Er gab mir, wenn auch etwas widerwillig, sein Wort und ich hoffte inständig, dass ich dieses Mal darauf vertrauen konnte. Der Weg zur Schule verlief wie immer und ich war heilfroh, als ich endlich den überfüllten Bus verlassen hatte. Warum das Busunternehmen nicht einfach einen größeren Bus schickte, war mir ein Rätsel. Ich passierte gerade das Schultor, als ich bereits Ino und Tenten an unserem Stammplatz stehen sah. Ich ging zielstrebig auf die Beiden zu und Ino winkte bereits aufgeregt.

„Guten Morgen, Saku“, begrüßte sie mich freundlich und drückte mir einen Kuss auf die rechte Wange. Tenten, die solch überschwängliche Begrüßungen nicht mochte, hob die Hand und wünschte mir einen Guten Morgen. Ich tat es ihr gleich.

„Oh ich bin ja so aufgeregt“, verkündete Ino. „Heute wird ein wunderbarer Tag, das spüre ich. Sag mal Saku, holt dich Sasuke heute wieder ab?“, fragte sie und sah mich neugierig an. Ich seufzte leidlich, da sie schon zum frühen Morgen wieder mit diesem Thema anfing und schüttelte den Kopf. 

„Oh achja natürlich, du wolltest dich ja von ihm fernhalten“, lachte sie. „Tut mir Leid, das hatte ich ganz vergessen. Selbstverständlich holt er dich da nicht ab. Ich habe übrigens gleich gestern noch mit Sai Schluss gemacht. Du kannst dir nicht vorstellen, was der für einen Aufriss veranstaltet hat, aber er wird früher oder später schon verstehen, dass es so das Beste für alle ist. Ehrlich gesagt bin ich ihm schon seit einer Zeit überdrüssig und schließlich steht er mir bei der Sache mit Sasuke nur im Weg.“ 

„Ino, was die ganze Sache angeht… Ich würde gerne noch einmal mit dir darüber reden“, sagte ich vorsichtig und bettete inständig darum, dass es gut gehen würde. Ino zog skeptisch eine Augenbraue nach oben. „So?“, fragte sie und warf Tenten einen vielsagenden Blick zu. Diese verstand. „Kein Problem, ich muss sowieso noch etwas vor dem Unterricht erledigen. Wir sehen uns dann später“, verkündete sie und ließ uns alleine.

„Also, Saku. Was möchtest du?“

„Weißt du Ino, die ganze Sache mit Sasuke… also, dass ich mich von ihm fernhalten soll… Ich weiß, ich habe es dir versprochen, aber das geht leider nicht so leicht, wie du dir das vorstellst.“

Sie verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. „Und warum nicht?“ Jetzt kam der schwierige Teil. Wie konnte ich ihr indirekt von dem Vertrag mit Sasuke erzählen, ohne mit der ganzen Wahrheit rauszurücken?

„Nun… ich habe ihm leider auch etwas versprochen. Noch vor dir. Er… Er braucht meine Hilfe, bei… bei einer Sache und ich habe geschworen ihm dabei zu helfen. Ich kann mich nicht von ihm fernhalten, bevor diese Sache nicht erledigt ist.“ Ich nickte mir selbst bestätigend zu. Das klang gar nicht so verkehrt.

„Pah, von wegen“, stieß Ino plötzlich aus. „Hör auf, dir hier irgendwelche Märchen aus den Fingern zu ziehen. Du hast mich gestern belogen, gib es zu! Du bist selbst hinter ihm her, das ist es doch!“ Ich schüttelte schockiert den Kopf. Wie konnte sie nur so von mir denken? 

„Nein, Ino das ist es wirklich ni-“, „Du liebst ihn, stimmt doch, nicht wahr? Denkst du etwa, ich habe gestern nicht mitbekommen, dass du nicht wolltest, dass ich mit euch komme? Du wolltest ihn nur für dich haben und nun lügst du mich auch noch an. Anstatt mich, als deine Freundin, zu unterstützen, fällst du mir in den Rücken und gönnst mir mein Glück nicht. Denkst du etwa wirklich, du hättest Chancen bei ihm? DU? Eine Breitstirn?“ Ich zuckte vor ihr zurück, als hätte sie mich geohrfeigt. Ino tobte und schrie weiter, beschimpfte mich, doch das war mir alles gleich. Das Schlimmste, was sie hätte sagen können, hatte sie bereits ausgesprochen. Ich verstand, dass sie sich verletzt fühlte, weil ich mein Versprechen nicht einhalten konnte, aber das gab ihr nicht das Recht, mir sowas an den Kopf zu werfen. Einige Schüler, die Ino’s lautstarken Ausbruch mitbekamen, blieben etwas entfernt stehen, beobachteten uns und tuschelten. Mir traten vor Enttäuschung die Tränen in die Augen. Das war nicht fair! 

„Das hätte ich nie von dir gedacht, Sakura. Nach allem, was ich für dich getan habe! Du warst ein Niemand ohne mich und nur mir ist es zu verdanken, dass du aus deinem Schneckenhaus, in das du dich immer verzogen hast, gekrochen bist. Ich wünsche mir im Moment nichts sehnlicher, als das du wieder da hineinkriechen und einfach verschwinden würdest.“ Auch in ihren Augen sammelten sich nun Tränen, doch wusste ich nicht ob vor Wut oder Trauer. Sie machte auf dem Absatz kehrt, ließ mich stehen und rannte in unser großes Schulgebäude. Ich hielt sie nicht auf, denn ich wusste nicht, was ich ihr hätte sagen können. Zu sehr war auch ich von ihr enttäuscht. Es stimmte, ich hatte ihr viel zu verdanken, aber sie hatte mich nicht einmal angehört, sondern ihre eigenen Schlussfolgerungen gezogen und mich dafür verurteilt. Ich konnte die Tränen nicht stoppen, die mir die Wange hinabliefen und drehte den tuschelnden Schülern, die mich musterten, den Rücken zu. Wie hatte alles nur so weit kommen können? 

 

Ich war schon immer ein Mensch gewesen, der die Schule mochte. Lange Tage hinterm Schreibtisch störten mich gewöhnlich nicht, denn ich lernte gerne. Doch das Beste an der Schule waren immer noch die Pausen, in denen man sich zusammen mit seinen Freunden unterhalten und Spaß haben konnte. Heute gefiel mir nichts von beiden. Während des Unterrichts versuchte ich die Blicke und das Gemurmel meiner Klassenkameraden zu ignorieren, denn der große Streit mit Ino an diesem Morgen hatte sich scheinbar herumgesprochen. Dabei waren es nicht einmal die verurteilenden Blicke oder das verletzende Getratsche, was mich am meisten störte. Am Schlimmsten waren Ino’s böse Blicke, die sie mir zuwarf, sobald sie bemerkte, dass ich in ihre Richtung sah. Mir war nach heulen zu mute, doch ich wollte mir diese Blöße nicht geben. Nicht vor allen anderen! 

Das Furchtbarste jedoch waren die sonst so geliebten Pausen. Ino zeigte mir offen die kalte Schulter und auch Tenten zog sie auf ihre Seite. Ich fühlte mich allein und einsam und verzog mich in eine stille Ecke, in der mich hoffentlich niemand bemerken würde. 

Mehr noch als die drohende Einsamkeit übermahnte mich diese große Enttäuschung. Wie konnte Ino nur, nach zehn langen Jahren Freundschaft, die uns verband, so vorschnell handeln und mich derart verurteilen? Müsste sie es nicht eigentlich besser wissen? Ich wollte ihr nie etwas Böses, ganz im Gegenteil. Sie war der wichtigste Mensch in meinem Leben und wenn es einen Weg gegeben hätte, sie mit einem normalen Sasuke, nicht mit einem Dämon, zusammenzubringen, dann hätte ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, die nötig waren um Ino glücklich zu machen. Nur diesen Weg gab es leider nicht. Konnte sie es nicht verstehen? 

Nein, konnte sie nicht, das hatte sie mir heute Morgen gezeigt. Sie hatte mich beschimpft, meinen größten Schwachpunkt ausgenutzt und gegen mich verwendet. Und das alles nur wegen eines Jungen? Ein Junge, der nicht einmal ein Junge war, sondern ein Dämon, dem die Gefühle der Menschen sonst wo vorbeigingen und nur für die Erfüllung irgendeines Vertrages gut waren!

Auch wenn ich im Moment wahrscheinlich genauso verletzt war, wie Ino selbst, so hoffte ich dennoch, dass wenn sich die Gemüter erst einmal beruhigt hatten, wir eine Chance darauf hatten, die Dinge noch einmal vernünftig zu klären und uns wieder zu versöhnen.

 

DING–DANG–DONG

Der schrille, laute Gong unserer Schulglocke beendete die letzte Unterrichtsstunde und alle kramten schnell ihre sieben Sachen zusammen, damit sie so früh wie möglich das Schulgelände verlassen konnten. Auch ich sortierte meine Unterrichtsmaterialien wieder in meine Tasche ein, hatte es jedoch nicht sonderlich eilig damit. Ich warf einen kurzen Blick zur Tür, durch die Ino gerade hocherhobenen Hauptes marschierte und mich nicht eines Blickes würdigte. Ich ließ gekränkt den Kopf hängen, jedoch bemerkte ich, dass mich jemand unsicher musterte und sah noch einmal auf. In der Tür stand Tenten, die bestürzt in meine Richtung sah. In mir regte sich die kleine Hoffnung, wenigstens noch eine Freundin zu haben, doch in dem Moment schüttelte Tenten bereits leicht mit dem Kopf und folgte Ino aus dem Raum raus. 

Mir stiegen erneut die Tränen in die Augen, als mir bewusst wurde, dass ich nun wirklich mutterseelenallein dastand. Ich wischte mir schnell über die Augen und verbannte die Tränen aus meinem Gesicht. 

Langsam trottete nun auch ich aus dem großen Schulgebäude, beschloss jedoch heute zu laufen und nicht den Bus zu nehmen. Ich hatte genug böse Blicke für einen Tag erhalten, sodass ich im Moment die Einsamkeit einer überfüllten Schülermenge vorzog. Der Himmel war zugezogen und nicht ein Sonnenstrahl konnte sich durch die dicke graue Wolkendecke drängen. Dem Himmel war also auch zum Weinen zu mute, ganz so, als würde er mich und meine Gefühle verstehen. 

Ich hatte bereits den halben Weg zurückgelegt, als mich eine sanfte Stimme aus meinen deprimierenden Gedanken zog.

„Einen schönen guten Tag, junge Frau“, hörte ich hinter mir eine tiefe Männerstimme sagen und drehte mich um. Vor mir stand ein großgewachsener, junger Mann, mit kurzen schwarzen Haaren und einem freundlichen Lächeln. 

„Guten Tag“, antwortete ich, konnte jedoch sein Lächeln nicht erwidern. Mir war einfach nicht danach.

„Du machst ja ein Gesicht, wie sieben Tage Regenwetter“, stellte er freundlich fest und das Lächeln wich einfach nicht aus seinem Gesicht. Warum störte es mich so? Es wirkte irgendwie falsch. Ich zuckte als Antwort nur nichtssagend mit den Schultern. Was wollte dieser Typ von mir?

„Darf ich dich ein Stück begleiten?“, fragte er und lächelte weiter. Ich zog skeptisch die Stirn in Falten und schüttelte leicht mit dem Kopf. „Es tut mir leid, ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich wäre jetzt lieber alleine.“

„Nun, das IST aber unhöflich, Sakura“, sagte er zornig und seine Gesichtszüge wurden hart, als das falsche Lächeln aus seinem Gesicht verschwand. „Moment mal, woher kennst du meinen Namen?“, fragte ich misstrauisch, denn irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. 

„Dachte ich es mir doch, dass du es bist. Es gibt nicht viele Mädchen in der Stadt mit rosa Haaren“, erklärte er, „Komm, wir müssen uns mal unterhalten.“ Noch eh ich mich versah, hatte er mich am Kragen gepackt und in eine enge Seitengasse gezogen. Er drückte mich so heftig gegen die Wand, dass ich einen Moment lang keine Luft bekam und baute sich einschüchtern vor mir auf. Ich wollte um Hilfe schreien, doch er drückte mir eine Hand auf den Mund und verwandelte somit meinen lauten Schrei in ein ersticktes Quicken.

„Hier wird nicht geschrien, klar?“, blaffte er und ich bekam es mit der Angst zu tun. Wer war dieser Mann und was wollte er von mir? Ich nickte schnell, in der Hoffnung den Fremden zu beruhigen und er nahm langsam die Hand von meinem Mund und stützte sie stattdessen neben meinem Kopf ab. „Du bist also dieses kleine Miststück, das schuld daran ist, dass Ino sich von mir getrennt hat.“ Ino? Ino hatte sich in letzter Zeit nur von einem Jungen getrennt. Also konnte dieser Fremde nur…

„Du bist Sai“, platzte es aus mir heraus und er nickte wütend. „Ja allerdings. Hast du eigentlich eine Ahnung, was du kaputt gemacht hast? Du und dieses Arschloch?“ Er schrie mich an und ich zuckte erschrocken zusammen. Von welchem Arschloch konnte er sprechen? Meinte er etwa Sasuke?

„Glaub mir bitte, ich habe selbst versucht, Ino davon abzubringen, aber sie hört nicht auf mich. Sie hat mir heute sogar vorgeworfen, selbst an Sasuke-“ Weiter kam ich nicht, da er mir mit einem kräftigen Hieb ins Gesicht schlug und mich damit zu Boden beförderte. Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen und der ganze Kopf dröhnte durch seinen Schlag. Ein unwillkürliches Zittern durchfuhr meinen Körper, als ich mir die pochende Wange hielt und ängstlich zu dem Schwarzhaarigen aufsah, der sich über mir aufbaute, wie ein Bär. 

„Lüg mich nicht an“, schrie er, „Du bist ihre beste Freundin, natürlich hört sie auf dich. Weißt du eigentlich, wie glücklich ich mit ihr war? Du hast sie mir weggenommen, indem du diesen Typen angeschleppt hast.“ Ich sah betroffen zu Boden und schüttelte nur mit dem Kopf. Ich traute mich nicht zu sprechen, aus Angst, er würde mich erneut schlagen. Er kniete sich zu mir herab und strich mir schon nahezu zärtlich übers Gesicht. Ich entwand ihm zitternd meinen Kopf. Als er weitersprach, nahm seine Stimme einen schon beinahe freundlichen Ton an und damit machte mir mehr Angst, als hätte er mir direkt ins Ohr gebrüllt. „Du hast den Typen angeschleppt, also solltest du auch schnellstmöglich dafür sorgen, dass er wieder aus ihrem Kopf verschwindet. Beeil dich lieber, denn wenn wir uns das nächste Mal sehen, werde ich nicht mehr so gnädig mit dir sein.“ Er erhob sich wieder und verließ die Seitengasse ohne noch einmal zurückzuschauen. Seine Drohung erschütterte mich bis ins Mark und jetzt da er weg war, kullerte ich mich ängstlich zu einer Kugel zusammen und versuchte mich so klein zu machen, wie nur irgendwie möglich. Ich presste mir die Hand auf den Mund um mein lautes Schluchzen zu unterdrücken und zitterte am ganzen Körper. Dieser Typ war unberechenbar und ich zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass er seine Drohung in die Tat umsetzen würde. 

 

Ich wusste nicht, wie lange ich zusammengerollt in der engen Seitengasse gelegen hatte, doch irgendwann hatte der Regen eingesetzt und ich war mittlerweile eingeweicht bis auf die Knochen. Etwas wackelig auf den Beinen, rappelte ich mich wieder auf und beschloss meinen Heimweg anzutreten. Verschiedene Menschen eilten mit ihren großen Schirmen an mir vorbei und sahen mich merkwürdig an. Sah ich so furchtbar aus? Wahrscheinlich…

Ich kam nicht umher mich des Öfteren ängstlich umzudrehen, aus Angst Sai könnte plötzlich wieder hinter mir stehen und seine Drohung bereits jetzt in die Tat umzusetzen. Nach einer Stunde, die sich für mich wie eine Ewigkeit anfühlte, kam ich endlich zu Hause an. Ich war froh darüber, dass meine Eltern immer erst spät von der Arbeit kamen, denn so musste ich ihnen meinen Aufzug nicht erklären. Ich zwängte mich aus den nassen Schuhen und ließ auch meine mittlerweile durchnässten Socken im Flur liegen. Ich ging langsam den Weg in mein Zimmer hinauf und hinterließ dabei eine feuchte Spur auf dem Fußboden. Als ich meine Zimmertür öffnete, sah ich Sasuke wie immer auf meinem Teppich sitzen, der gerade mal wieder mit Charlie spielte. 

„Wird ja auch Zeit, dass du endlich mal-“, setzte Sasuke an, jedoch brach er seinen Satz ab, als er zu mir aufsah. Er zog argwöhnisch seine Stirn in Falten und musterte mich von oben bis unten. Anschließend fragte er: „Wie siehst du denn aus?“ 

Ich fasste das als eine Art rhetorische Frage auf, ignorierte ihn und stellte meine Schultasche neben meinem Schreibtisch ab. Wahrscheinlich waren auch mittlerweile meine Bücher und Hefte darin durchgeweicht, nur das interessierte mich im Moment herzlich wenig.

„Könntest du mich bitte einen Moment alleine lassen?“, bat ich ihn und schälte mich aus meiner nassen Strickjacke, die ich anschließend achtlos auf den Boden warf. Plötzlich stand Sasuke neben mir und betrachtete misstrauisch mein Gesicht. Er hob die Hand und berührte die Schrame auf meiner linken Wange, jedoch zuckte ich vor ihm zurück, wie der Teufel vor dem Weihwasser. 

„Wurdest du geschlagen?“, fragte er mich und deutete prompt richtig. Als ich spürte, dass mir erneut Tränen in die Augen stiegen, verzog ich wütend das Gesicht und versuchte sie dadurch zu verstecken. Hatte ich nicht langsam genug geweint für einen Tag? Wie viel Wasser konnte in einer kleinen Person wie mir eigentlich stecken? Es war furchtbar. „Das geht dich überhaupt nichts an“, fauchte ich und wand mich unmissverständlich von ihm ab. 

Er blieb stehen, wo er war, bedrängte mich nicht, sondern forderte nur: „Erzähl mir, was passiert ist.“ Ich schüttelte heftig mit dem Kopf, denn er hatte kein Recht mich dazu aufzufordern! Er war grob, gemein, egoistisch und überhaupt erst schuld an der ganzen Sache! Hätte er doch nur nicht zugestimmt, den Nachmittag zusammen mit Ino zu verbringen, wäre er nur nicht vor der Schule aufgetaucht, hätte ich doch nie diesen Vertrag mit ihm geschlossen und wäre ihm niemals begegnet… Dann wäre jetzt alles noch genau so, wie es hätte sein sollen!

Ich schaffte es nicht länger die Tränen zu unterdrücken und vergrub mein Gesicht in den Händen. „Ich hatte einen furchtbaren Streit mit Ino“, schluchzte ich. Ich wollte es ihm wirklich nicht erzählen, aber ich hatte meine Grenzen erreicht und im Moment war er wahrscheinlich die letzte Person, die mir noch blieb. „Wir haben uns noch nie gestritten und im Moment fühle ich mich total allein. Nicht einmal Tenten steht noch hinter mir. Außerdem habe ich heute auf dem Nachhauseweg Ino’s Exfreund Sai getroffen, der mir die Schuld daran gibt, dass Ino sich von ihm getrennt hat.“ 

Ich hatte erneut zu zittern begonnen, meine Beine gaben unter mir nach und ich sank zu Boden. Ich wartete auf eine abfällig Bemerkung Sasukes, auf sein gewohnt spöttisches Gelächter, einen arroganten Spruch, doch nichts dergleichen kam. Stattdessen setzte er sich einfach zu mir und hörte mir stillschweigend zu. Als ich einmal angefangen hatte, ihm meine Situation zu erklären, konnte ich irgendwie nicht mehr damit aufhören und erzählte ihm einfach alles. Von Ino’s ständig wechselten Beziehungen, dem heutigen Streit, ihrer verletzenden Aussage und auch von Sai’s Angriff. Sasuke sagte die ganze Zeit über nichts, sondern schien zu merken, dass ich dem Ganzen einfach mal Luft lassen musste und sein stilles Zuhören, wirkte beruhigender, als alles andere. Als ich irgendwann alles erzählt und mich ausgeweint hatte, saßen wir eine Weile stumm nebeneinander und jeder schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. 

 

„Nun, warum wünscht du dir nicht einfach, dass diese Ino mich einfach vergessen würde? Ihr könntet einfach weitermachen, als hätte es euren Streit nie gegeben und wer weiß, vielleicht geht sie auch wieder zu diesem Sai zurück“, schlug er nach einer gefühlten Ewigkeit vor und ich glotzte ihn in diesem Moment wahrscheinlich an wie ein Pferd. „Das würde gehen?“, fragte ich ungläubig und er zuckte nur mit den Schultern. 

„Klar, warum auch nicht. Menschen sind dumm und lassen sich leicht täuschen, daher sind ihre Gedanken, Erinnerungen und Gefühle ziemlich einfach zu manipulieren, wenn man will“, erklärte er. Ich dachte einen Moment über seinen Vorschlag nach. Es schien wirklich die Lösung für all meine Probleme zu sein. Ino würde Sasuke vergessen und somit wahrscheinlich auch unseren Streit. 

Und Sai… Nein ich kannte Ino lange genug. Auch wenn sie Sasuke vergessen würde, würde sie nicht zu ihm zurückgehen. Hatte sie ein Thema erstmal abgeschlossen, dann blieb es das auch. Außerdem konnte ich von Ino wirklich verlangen zu so einem unberechenbaren, gewalttätigen Kerl zurückzugehen? Oder ferner… wollte ich überhaupt eine solch aufgezwungene Freundschaft haben? Ich wünschte mir zwar eine Versöhnung mit Ino, jedoch wollte ich diese auch um jeden Preis? Sie hatte heute eine Seite an sich gezeigt, die ich bisher noch nicht kannte und es entsetzte mich. Was wäre, wenn in Zukunft wieder ein Kerl aufkreuzt, an dem sie Interesse zeigt, dieser jedoch wieder irgendetwas mit mir zu tun hat? Würde es nicht wieder auf das Gleiche hinauslaufen?

„Nein, das will ich nicht“, sprach ich, „Wenn Ino und ich uns versöhnen sollten, dann unter der Voraussetzung, dass wir beide die ganze Geschichte kennen. Ich will sie nicht erst täuschen müssen, nur damit sie wieder meine Freundin wird.“ Sasuke schien über dieser Antwort nicht gerade erfreut. 

„Also willst du lieber so weiterleben, wie es jetzt gerade ist, obwohl es dich derart unglücklich macht?“, fragte er und dieses Mal war es an mir die Schultern zu zucken. 

„Wenn es so sein soll, ja“, bestätigte ich und er stand mit einem lauten Schnaufen auf. „Ich versteh dich nicht. Du bist sichtlich fertig und mit den Nerven am Ende, wurdest attackiert und anstatt den einzigen Weg zu gehen, der dich aus dem ganzen Schlamassel herausholen würde, lehnst du ab, weil du nichts ‚Erzwungenes‘ willst? Was für eine Art Logik soll das sein?“, blaffte er mich an und ich starrte apathisch vor mich her. „Es ist die einzige Logik, die ich habe“, sagte ich und erklärte das Gespräch hiermit für beendet. 

 

Eine Woche verging, jedoch hatte sich die Situation nicht im Geringsten verbessert. Ino schien in der Zeit einen regelrechten Fanclub um sich zu scharen und alle gegen mich aufzuhetzen. Wohin ich auch ging, ich wurde beschimpft, böse angestarrt oder mir wurden kindische Streiche gespielt. Ich gab mein Bestes mich von alldem nicht unterkriegen zu lassen, aber es war schwer. Jegliche Versuche mich mit Ino auszusprechen und ihr alles zu erklären, waren gescheitert. Sie blockte alles ab und ging mir konsequent aus dem Weg. Tenten schien zusehends genervt von den ganzen schrillen Hühnern, die Ino nun ununterbrochen überall hin folgten, aber sie beklagte sich nicht. 

„Bist du nun endlich zur Vernunft gekommen und hast beschlossen dir durch einen Wunsch helfen zu lassen?“, fragte mich Sasuke eines Nachmittags. Ich saß an meinem Schreibtisch und erledigte meine Hausaufgaben wie jeden Tag, kam aber nicht drumherum hin und wieder traurig das Foto von Ino und mir, das eingerahmt in der rechten Ecke des Schreibtisches stand, anzustarren. Ich schüttelte den Kopf, denn meine Ansichten hatten sich immer noch nicht geändert. 

„Langsam habe ich es echt satt“, sagte er wütend, „Die ganze Zeit starrst du nur leblos vor dich her, hast deinen Appetit verloren und lässt überhaupt keine anderen Emotionen mehr zu, außer diese dumme Trauer.“ Ich legte den Stift beiseite und drehte mich zu ihm um. Er stand nicht einmal einen Meter von mir entfernt, trug eine schwarze Stoffhose, ein weißes einfaches Shirt und hatte wütend die Arme vor der Brust verschränkt. 

„Was willst du eigentlich von mir, Sasuke?“, fragte ich müde, denn ich war diese ewigen Diskussionen leid. 

„Hast du eigentlich mal gesehen, wie du aussiehst?“ Seine Stimme war zornig und auch ich bemerkte langsam die Wut in mir aufsteigen. Ich wusste, dass ich zurzeit nicht gerade ansehnlich aussah mit den dicken Augenringen und den lustlosen, traurigen Gesichtszügen. Meine Haare wirkten matt und stumpf und nahezu alles an mir schien meine derzeitige Stimmung nach außen zu tragen.

„Du scheinst zu vergessen, dass wir einen Vertrag haben“, bellte er grimmig.

„Geht es dir eigentlich immer nur um diesen dummen Vertrag?“ Er sah mich verständnislos an.

„Worum sollte es mir denn sonst gehen? Es reicht mir langsam mit dir. Die Seele einer schwachen, nahezu leblosen Frau schmeckt nämlich zum kotzen.“ Noch ehe er den Satz ganz zu Ende gesprochen hatte, war ich von meinem Sitz aufgesprungen und hatte ihm eine schallende Ohrfeige verpasst. Sein Kopf drehte sich mit dem Schlag zur Seite, aber sonst zeigte er keinerlei Reaktion.

„Ich hasse dich! Du Mistkerl“, schrie ich ihn an und rannte aus dem Zimmer. Warum war jeder nur auf sein eigenes Wohl aus? Ino war egal, was mit mir geschah, solange Sasuke nicht ihr gehörte, für Sasuke stand nur das Wohl meiner Seele im Vordergrund, damit sie gut schmeckte und ihm so viel Kraft wie möglich gab und selbst dieser Sai wollte nur sein eigenes Glück mit Ino zurück, und war sich dafür nicht einmal zu Schade, Hand an eine Frau zu legen. Wie ich die ganze Welt doch hasste!

 

Der Himmel zeigte ein herrliches Farbenspiel aus Rosa-, Orange- und Gelbtönen. Ich starrte verträumt aus dem Fenster und bestaunte den einsetzenden Sonnenuntergang an einem wolkenlosen Tag wie diesem. Es überraschte mich immer wieder, was für schöne Dinge die Natur hervorbringen konnte, beschloss aber, meine Zeit nun nicht mehr unnötig zu vertrödeln. Ich sortierte die Bücher auf meinem Platz wieder in die dazugehörigen Regale ein und verließ leise die Bibliothek. Diese war in den letzten Tagen zu einer Art zweitem zuhause geworden, denn nur hier war ich sicher vor Ino’s nervigem Fanclub. Ich verbrachte meine Zeit nach dem Unterricht bis zur einsetzenden Dämmerung nun hier, da es zu anstrengend war, jeden Tag nach der Schule den überfüllten Bus zu nutzen, wenn mehr als die Hälfte der Mitfahrenden einen am liebsten einen Strick um den Hals legen würden. Alleine nach dem Unterricht nach Hause zu laufen, wagte ich mich nicht noch einmal, aus Angst Sai erneut über den Weg zu laufen.

Schlendernd verließ ich das Schulgebäude und folgte der kurzen Allee bis zu unserem Schultor mit der angrenzenden Bushaltestelle. Ich betrat den zum Glück nun fast leeren Bus und suchte mir einen Sitzplatz am Fenster aus, damit ich weiter das farbenfrohe Schauspiel des Himmels bestaunen konnte. Wäre ich ein Maler würde ich wahrscheinlich genau dieses Bild versuchen festzuhalten.

 

Ich stieg nach einer dreiviertel Stunde Fahrt wie gewohnt an meiner Haltestelle aus. Mittlerweile war es fast dunkel und die flimmernden Straßenlaternen erhellten in großen Abständen die leeren Straßen und Wege. Ich schulterte meine Tasche und setzte gemütlich meinen Weg fort, als ich plötzlich einen lauten Aufschrei hörte.

„Hey!“, brüllte jemand und ich wurde blitzschnell an der Schulter gepackt und ruckartig nach hinten gezogen. Ich schrie panisch auf, als ich die Stimme zuordnen konnte und versuchte mich gegen seine starken Arme, die mich festhielten und unerbittlich weiter zurückzogen, zur Wehr zu setzen. 

„Ich dachte, wir hatten eine Abmachung“, knurrte er wütend und stieß mich unsanft gegen eine Hauswand. Ich suchte mit den Augen nach einer geeigneten Fluchtmöglichkeit, doch da er mir mit den Armen den Weg versperrte, schwanden meine Fluchtchancen drastisch. 

„So einfach kommst du mir nicht davon. Ich habe dir gesagt, was passiert, wenn du die Sache mit Ino und diesem Typen nicht regelst“, zischte er mich ungehalten an und verzog den Mund zu einer schmalen Linie. Seine dunklen Augen brannten sich nahezu in meine, als er mich mit seinen fanatischen Blicken durchbohrte. „A…Aber Ino und Sasuke haben sich seit dem einen Tag nie wieder gesehen und Ino hasst mich, weil sie denkt, ich würde ihr Sasuke wegnehmen. Sie hört nicht auf mich und es gibt nichts, was ich noch tun könnte...“ Er schlug mit seiner Faust heftig gegen die Wand, direkt neben meinem Kopf, und ich zuckte ängstlich zusammen.

„Das ist mir egal!“, tobte er, „Ich sagte bereits, du hast diesen Typen mit angeschleppt, also siehst du auch zu, wie er wieder aus ihrem Kopf verschwindet.“ Er holte aus und schlug mir wieder einmal mitten ins Gesicht. Ich fiel zu Boden und hatte eine merkwürdige Art von Déjà-vu. 

Sasuke hatte recht, ich war nicht mehr als ein kleines schwaches Mädchen. In meiner Kindheit schaffte ich es nicht mich gegen ein paar Hänseleien und Streiche zur Wehr setzen, sondern ließ mir immer alles gefallen. Seit gut einer Woche war ich unfähig Ino einfach die Meinung zu sagen und versteckte mich lieber, wie ein scheues Rehkitz in der Bibliothek, anstatt einfach über die dummen Aktionen ihres Fanclubs zu lachen und nun ließ ich mich erneut von einem Mann schlagen, der mich für etwas verantwortlich machte, mit dem ich nicht das Geringste zu tun hatte. 

Ich war es leid, mich von allen herumschubsen zu lassen und nur nach fremder Pfeife zu tanzen. Damit war nun Schluss! Es war an der Zeit endlich stärker zu werden. Oder selbstbewusster, wie Ino es damals nannte. All die Jahre hatte ich angenommen, Selbstbewusstsein bedeutet, cool, hübsch und beliebt zu sein und eben auch so aufzutreten. Doch das war falsch, das begriff ich endlich.  Selbstbewusstsein bezeichnete viel mehr innere Stärke!

Ich kramte allen Mut, den ich besaß zusammen und stand, wenn auch etwas zittrig, wieder auf. 

„Klär deine Probleme mit Ino gefälligst alleine. Ich sagte jetzt schon mehrfach, dass ich damit nichts zu tun habe“, sagte ich laut und deutlich. Er stieß ein wütendes Schnaufen aus, holte aus und wollte mir erneut ins Gesicht schlagen, doch dieses Mal war ich darauf vorbereitet und duckte mich unter seiner heranschnellenden Faust hinweg. Er war darauf nicht gefasst gewesen, verlor das Gleichgewicht und landete ziemlich geräuschvoll auf dem harten Steinpflaster. Ich nutzte die Situation aus, nahm die Beine in die Hand und rannte so schnell ich konnte. Es würde sicher nicht lange brauchen um mich einzuholen, also legte ich einen Zahn zu und rannte den wahrscheinlich schnellsten Sprint meines ganzen Lebens. Mein Sportlehrer würde mir diese Leistung wohl selbst in zehn Jahren nicht abkaufen.

Ein spitzer Gegenstand traf mich am Knöchel, sodass ich umknickte und der Länge nach auf dem Asphalt landete. Meine Knie gaben stumme Protestschreie von sich, als ich sie mir durch den Sturz aufschürfte, aber darum konnte ich mich nun nicht kümmern. Ich versuchte mich erneut aufzuraffen, jedoch hatte mich Sai bereits eingeholt und ehe ich mich versah, hatte er mir wütend in die Seite getreten. Mir blieb die Luft weg, als der Schmerz meinen Körper erfasste und mich unwillkürlich würgen ließ. Er drückte mir mit seinem Gewicht auf schmerzvolle Art und Weise sein Knie ins Kreuz und hob meinen Kopf an, indem er meine langen Haare umfasste und daran zog. 

„Das wagst du dir nicht noch einmal, du Miststück“, zischte er. Der quälende Schmerz, in meinem Rücken wurde unerträglich und ich schrie laut auf. Er ließ meine Haare los und ich bangte vor seinem nächsten Schlag, doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen verschwand sein Gewicht von meinem Rücken und ich wagte einen vorsichtigen Blick über die Schulter. Ich riss ungläubig die Augen auf, denn neben mir stand niemand anderes als Sasuke, der Sai am Kragen gepackt hielt und einfach über die Straße schleuderte, als wäre er leicht wie ein Ball. 

„Sasuke…“, murmelte ich dankbar, denn ich war unglaublich froh darüber ihn hier zu wissen. Er kniete sich zu mir und half mir eine sitzende Position einzunehmen. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich Sai, der sich langsam aufraffte und Sasuke dabei fixierte, wie die Katze eine lebende Maus.

„Sasuke?“, fragte er, „DER Sasuke?“ Sais Stimme zitterte vor Anspannung, ehe er losbrüllte: „Ich bring dich um, du mieses Schwein. Erst dieses rosahaarige Miststück, weil sie dich angeschleppt hat, dann dich, weil du mir meine Ino weggenommen hast und schlussendlich… ja schlussendlich Ino selbst. Sie hat mich verschmäht, doch wenn ICH sie nicht haben kann, bekommt sie auch kein anderer.“ Meine Augen weiteten sich bei seinen Worten, denn dieser Junge war krank. Er war total gestört und derart auf seine Liebe zu Ino fixiert, die jedoch nicht einmal fähig war diese zu erwidern. In ihren Augen war er nicht mehr als ein nettes Accessoire, das jederzeit ausgetauscht werden konnte, wenn es ihr nicht mehr gefiel.

„Du weißt, was du sagen musst“, erinnerte mich Sasuke und ignorierte Sai, der sich langsam auf uns zubewegte und der reine Wahnsinn spiegelte sich in seinen Augen. „Sag mir, dass ich ihn vernichten soll.“

Ich schüttelte den Kopf, denn ich wollte nicht seine Vernichtung. „Nein, vernichte ihn bitte nicht, Sasuke. Ich wünsche mir nur, dass er seine Gefühle und die Liebe zu Ino vergisst. Er hat eine Chance darauf, wieder glücklich zu werden ohne Erinnerung an sie.“ Ich bemerkte Sasuke’s irritierten Blick, denn offensichtlich war er mit meinem Wunsch nicht gerade einverstanden. 

„Ist das dein Ernst? Dieser Kerl wollte dich gerade noch umbringen und du willst, dass er glücklich wird? Bist du noch ganz dicht?“, fragte er mich gereizt, doch ich nickte nur. Ich konnte nicht einfach jemand den Tod wünschen, solange es eine Chance auf seine Rettung gab, ganz gleich, was er vorher getan hatte. „Ja, es ist mein Ernst. Du sagtest doch, du könntest die Gefühle und die Erinnerungen von Menschen beeinflussen. Genau das wünsche ich mir“, sagte ich laut und sah Sasuke dabei fest in die Augen. Er seufzte gequält, erhob sich aber und noch ehe Sai sich auf ihn stürzen konnte, hatte er ihm bereits seine Hand in den Nacken gedrückt und der große, schwarzhaarige Mann sackte wie ein nasser Sack zusammen. Sasuke legte seinen Körper auf den Bürgersteig und wandte sich wieder mir zu.

Ich versuchte langsam aufzustehen, allerdings protestierte mein verletzter Knöchel sofort und ließ mich nicht gerade elegant zurück auf den Gehsteig plumpsen. Sasuke umfasste meinen Hinterkopf, zog mich zu sich heran und ich nahm an, er würde mich wieder küssen um einen Teil meiner Seele, als Gegenleistung für den Wunsch, in sich aufzunehmen. Doch er küsste mich nicht, wie beim letzten Mal, sondern drückte mir seine Lippen vorsichtig auf die Stirn. Mein ganzer Körper begann zu kribbeln, als mich eine merkwürdige Kraft durchströmte. Die Schramme in meinem Gesicht, der schmerzende Knöchel, der pochende Rücken, die stechende Seite und auch die aufgeschürften Knie, all meine Verletzungen leuchteten in einer hellen grünen Farbe auf und es fühlte sich an, als wäre nie etwas gewesen.

„Ich verstehe dich echt nicht“, seufzte er leise, „Wie kannst du in so einer Situation und nach allem, was dieser Kerl dir angetan hatte, noch einen so edlen Wunsch aussprechen?“ Ich grinste ihn leicht an, denn ich fühlte mich wunderbar. Ob das an der Kraft lag, die Sasuke mir eingeflößt hatte, um meine Wunden zu heilen? Ich wusste es nicht.

„Nun, ist es nicht das, was eine reine Seele ausmacht?“, fragte ich, statt zu antworten und mein Lächeln wurde breiter, als ich im schwachen Licht der Laterne sah, wie sein gereizter Ausdruck von seinem Gesicht verschwand und einem verblüfften wich. Ein leichter Rotton schlich sich auf sein sonst so blasses Gesicht und ich stellte fest, dass dieser Farbton ihm außerordentlich gut stand. Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf, ehe er zugab: „Kann schon sein.“ 

Er legte seinen rechten Zeigefinger unter mein Kinn, hob es an und küsste mich dieses Mal auf den Mund. Ich schloss meine Augen und bemerkte erneut ein angenehmes Kribbeln, das durch meinen Körper strömte. Ob es wieder diese Kraft war, die meinen Körper kribbeln ließ? Nein, denn es fühlte sich irgendwie anders an…

 

Als er sich wieder von mir entfernte, strahlte er mich mit diesem einmaligem Lächeln an, das ich bisher nur einmal bei ihm gesehen hatte und mir stockte der Atem. Wusste er eigentlich wie schön er war, wenn er so lächelte?

Dann sah er rüber zu Sai und meinte: „Du musst dir keine Sorgen mehr machen. Ich habe ihm nicht nur die Erinnerung und die Gefühle an deine blonde Freundin genommen, sondern habe auch uns aus seinem Gedächtnis gelöscht. Er wird nicht wissen, dass all das hier je stattgefunden hat.“ Ich nickte, denn das war gut so. Ich hoffte, Sais verwirrter Verstand würde sich bald von den Strapazen erholen und er würde in Zukunft mehr Glück bei seiner Frauenwahl haben.

„Ich werde mich nicht länger um Ino’s Freundschaft bemühen“, beschloss ich laut und warf Sasuke einen überzeugten Blick zu. „Damit ist es nun vorbei. Ein für alle Mal.“ 

„Wirklich?“, fragte er skeptisch, doch lächelte er weiterhin. „Nun, das ist gut so, denke ich. Doch wirst du dann nicht auch weiterhin alleine sein?“

„Es bringt nichts, wenn ich mich verstelle, nur damit die Leute mich mögen. Ich höre auf, nach ihren Spielen zu spielen und wenn die Einsamkeit ein Preis ist, den ich Zahlen muss, dann werde ich das tun“, erklärte ich und fühlte mich seit Tagen endlich wieder gut in meiner Haut.

Sasuke erhob sich und reichte mir die Hand. „Dann bist du wirklich tapfer“, versuchte er mir Mut zu machen, doch ich schüttelte den Kopf.

„Nein nicht tapfer. Nur selbstbewusst“, sagte ich grinsend und ergriff seine Hand. Ich hatte aus der ganzen Sache mehr gelernt, als ich zunächst ahnte. Ich hatte nicht nur herausgefunden, wie die Menschen um mich herum wirklich waren, sondern hauptsächlich, was für eine Art Mensch ich sein wollte. Ein neuer Abschnitt hatte begonnen und ich nahm mir fest vor, das Beste daraus zu machen. 

 


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