Am nächsten Morgen wurde Sakura sehr unsanft aus dem Schlaf gerissen. Man schüttelte sie und Sakura öffnete erschrocken ihre Augen. Sie sah blaue Augen und blonde Strähnen, die sich aus der streng nach hinten gekämmten Frisur gelockert hatten. Ino…

„Du schläfst ja immer noch. Wenn du nicht sofort aufstehst, erwartet dich ein ziemliches Donnerwetter“, mit dieser Warnung erhob sie sich wieder und verließ das Zimmer. Sakuras Blick glitt zum Fenster und sie sah, dass der Tag schon lange angebrochen war. Eilig sammelte sie ihre Sachen zusammen, verstaute ihren Futon im dafür vorgesehenen Wandschrank und lief eiligst nach draußen. Eigentlich sollten sie bei Morgengrauen aufstehen und Sakura fragte sich, wieso Hinata sie nicht geweckt hatte. Mikoto-sama war über ihr verschlafen natürlich nicht begeistert, ließ es jedoch als einmaligen Ausrutscher durchgehen. „Leg dich früher schlafen“, hatte sie gesagt, „Du nützt mir gar nichts, wenn du deine Arbeit nicht richtig verrichtest. Ich bezahle dich nicht fürs schlafen.“

Sakura ließ die Belehrung Mikoto’s mit gesenktem Haupt über sich ergehen und schämte sich ziemlich. Im Anschluss ging sie wie gewohnt an ihre Aufgaben und innerlich dankte sie Ino, dass diese sie geweckt hatte. 

Hinata ließ sich die ganze Zeit nicht blicken und so hatte Sakura alle Hände voll zu tun, da sie nun auch Hinatas Aufgaben übernehmen musste. Die Pause am Nachmittag benötigte sie heute nun dringender denn je. Überrascht war sie, als sie Hinata plötzlich im Zimmer antraf. Sie wusste nicht, ob sie froh darüber sein sollte, dass sie nun wieder aufgetaucht ist, oder lieber wütend sein sollte, weil sie sie nicht geweckt hatte und ihre Aufgaben den ganzen Tag Sakura hat erledigen lassen. Ihr hing viel an der Freundschaft zu dem eigentlich ruhigen und liebevollen Mädchen und deswegen beschloss sie einfach zu fragen, was los sei. Wahrscheinlich lag einfach ein Missverständnis vor.

„Warum hast du mich heute früh nicht geweckt, als du gegangen bist? Und wo warst du den ganzen Tag? Ich habe mir Sorgen gemacht.“

Hinata seufzte auf und warf Sakura einen wehleidigen Blick zu. „Es tut mir Leid, Sakura. Ich…. Ich war einfach wütend, schätze ich. Aber ich habe die Zeit heute zum Nachdenken genutzt und habe gemerkt, dass es ziemlich übertrieben von mir war. Schließlich kannst du es ja nicht wissen.“ Sakura stutzte. „Was wissen?“

„Sakura…. Es wird Zeit, dass ich dir Inos Geschichte erzähle...“

 

Sakura horchte auf. Würde sie jetzt Antworten darauf bekommen, warum Hinata die Blondine so sehr verachtete?

„Es passierte dieses Frühjahr. Die Kirschbäume hatten gerade begonnen zu blühen und alle waren fröhlich und ausgelassen, weil der Winter nun vorbei war und es wieder wärmer werden würde. Besonders Ino war zu dieser Zeit besonders fröhlich. Wir waren ziemlich gute Freunde. Einfach unzertrennlich“, ihre Lippen verzogen sich zu einem traurigen Lächeln und ihr Blick wurde melancholisch. „Sie war damals eigentlich immer ein nettes und hilfsbereites Mädchen, aber dieses Ereignis änderte sie total. Ich verstand zuerst auch nicht, weshalb sie die ganze Zeit strahlte und immer summte, aber ich habe das Ganze auf den Frühling geschoben. Doch nach und nach verhielt sie sich noch komischer. Sie schottete sich immer mehr von mir ab, schlich sich abends weg und kam erst früh morgens wieder. Wo sie schlief, wusste ich nicht und ich wollte sie auch nicht verraten, doch es blieb nicht nur beim nächtlichen Verschwinden. Sie begann mich darum zu bitten die ein oder andere Aufgabe von ihr zu übernehmen und dann verschwand sie sogar tagsüber. Es entstand ein immer größerer Bruch zwischen uns beiden. Und dann geschah es. Eines Nachts kam sie wieder. Es hatte an diesem Tag geregnet und ihre Sachen waren total durchnässt. Sie hatte rote, verquollene Augen und sie weinte bitterlich. Als ich sie trösten wollte, hatte sie mich angefaucht, ich solle sie in Ruhe lassen und es ginge mich nichts an. Natürlich ließ ich sie, doch ich sollte den Grund erfahren. Es war das größte Gesprächsthema in der ganzen Stadt. Ino hatte sich die ganze Zeit über mit einem Mann getroffen. Und nicht nur mit irgendeinem Mann, sie traf sich mit einem der Berater des Shoguns. Wie konnte sie nur? Sie schenkte ihre Unschuld und Keuschheit einem Mann, der einen viel höheren Rang hatte als sie. Und das Schlimmste war, dass sie damals nicht nur Schande über sich selbst brachte. Man redete auch schlecht über die Uchihas und ich ging fest davon aus, Mikoto-sama würde sie als Bestrafung wegschicken, aber das tat sie nicht“, Hinata seufzte und senkte den Kopf, „Sie hatte sogar Mitleid mit ihr. Der Mann hatte sie natürlich fallen gelassen wie einen dreckigen Lappen, als er genug von ihr hatte. Er stand schließlich weit über ihr, aber sie hatte sich trotzdem Hoffnungen gemacht, dass er sie, eine Magd, heiraten würde. Dummes Mädchen“, die Verachtung aus Hinatas Blick war nicht zu übersehen und es lief Sakura eiskalt den Rücken herunter. „Ich habe gehört, dass dieser Mann sich kurz nach seiner Abreise mit einer Frau von seinem Stand verlobt hatte. Damit Inos Anwesenheit dem Ruf des Hauses nicht schaden kann, verrichtet sie die Aufgaben, bei denen sie niemand zu Gesicht bekommt und verbringt die meiste Zeit des Tages unten im Keller. Doch anstatt ihren Fehler einzusehen, sich zu fügen und Reue zu bekennen, ist sie arrogant und kaltherzig geworden. Sie hält sich für was Besseres, nur weil sie eine Zeit lang die Gespielin eines Shogunberaters war.  Also wenn du mich fragst, ich hätte sie, an Mikoto-samas Stelle zum Teufel gejagt!“

 

Die Temperaturen sanken immer weiter und gegen Abend hatte es sogar begonnen zu schneien. Sakura stand mit ihrer Decke im Garten vor dem Teich. Sie ließ sich nicht von der Kälte stören, sondern betrachtete die einzelnen Schneeflocken, die vom Himmel fielen und auf dem Boden landeten. Sie spürte das kalte Gras unter ihren Füßen, weil sie vergaß ihre Schuhe anzuziehen, aber auch hieran störte sie sich nicht. Viel zu entsetzt war sie von Inos Geschichte. Sie bekam eine erneute Gänsehaut, wenn sie sich Hinatas Abscheu und Verachtung in Erinnerung rief. Wenn sie sich vorstellte, dass Ino jeden Tag mit solchen Blicken leben muss, fühlte sie mit ihr. Natürlich war es ein Fehler, sich auf einen Mann einzulassen, der nicht dem selben Stand angehörte, aber Sakura wollte und konnte der Blonden nicht die alleinige Schuld zuschieben, wie es scheinbar alle anderen taten.

 

Plötzlich spürte sie, dass sie nicht alleine war. Ein fremder Atem in ihrem Nacken…

Sie riss die Augen auf und drehte sich erschrocken um. Was sie dann sah, beruhigt sie nicht gerade. Es war Sasuke, der nur wenige Zentimeter von ihr entfernt stand und auf sie hinab sah. Sie spürte wie das Gefühlschaos in ihr, durch seine bloße Präsenz wieder begann. Seine Augen funkelten und sie wusste, dass er etwas vorhatte. Er hob seine Hand und bewegte sie auf sie zu. Sie fühlte sich in die Enge getrieben, da sie ihm nicht entwischen konnte. Würde sie zurückweichen, würde sie im kalten Wasser des Teiches landen. Er umfasste den Rand ihrer weißen Haube, die sie auf dem Kopf trug und nicht einmal zum Schlafen ablegte. Sie wusste, dass er vorhatte, ihr die Haube abzunehmen, und sie verfiel in Panik. Ihre Hände schnellten nach oben und sie drückte die Haube mit aller Kraft auf ihren Kopf, in der Hoffnung, sie könnte ihn an seinem Vorhaben hindern. Sie schämte sich nicht nur ihrer rosa Haare, sondern als unverheiratete Frau niederen Ranges war es ihre Pflicht ihre Haare mit einer Haube in der Öffentlichkeit zu bedecken. Deshalb verwunderte sie es, dass Ino ihre Haare offen zeigte. Haare galten als Symbol der Sinnlichkeit und es war nur dem Ehemann gestattet, die Haube seiner Frau zu entfernen. Es brachte Schande über eine Frau, wenn sie ihre Haare zeigte und unverheiratet war, oder sich die Haare von einem Mann abnehmen ließ, mit dem sie nicht liiert war.  Aber wahrscheinlich war es Ino auch nicht mehr gestattet ihre Haare zu bedecken.

 

Sasuke verharrte in seiner Bewegung und blickte ihr in die vor Schock geweiteten Augen. Er hatte nicht gedacht, dass sie sich ihm widersetzen würde, schließlich war er ihr Herr. Aber dieser Widerstand faszinierte ihn, forderte ihn heraus. Er war ein Uchiha und war es gewohnt, das zu bekommen, was er wollte. Seine Hand wanderte weiter vom Saum ihrer weißen Kopfbedeckung zu ihrem Hinterkopf. Er zog sie zu sich, beugte sich zu ihr hinab und legte seine Lippen auf ihre. Er nahm erstaunt wahr, dass sich ihre Augen, die ohnehin schon geweitet waren, noch mehr weiteten und blankes Entsetzen spiegelte sich in ihnen. 

 

Es war ein Test, mehr nicht. Seine Augen waren geöffnet und er blickte emotionslos auf sie hinunter. Keine Gefühle waren in ihm. Dieser Kuss bedeutete nichts, das wusste sie. Doch was wollte er erreichen? Alles in ihr schrie, dass es falsch war. So falsch…

Sie sammelte alle Kraft, die sie besaß und stieß ihn zurück, doch schaffte sie gerade einmal ein paar Zentimeter zwischen sich und dem Uchiha zu schaffen. Tränen rannen ihr übers Gesicht und sie schlug sich die Hand vor den Mund. Sie schlüpfte an ihm vorbei und rannte zurück ins Haus. Dabei sah sie nicht mehr das diabolische Lächeln, das sich auf sein Gesicht geschlichen hatte. 

 


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