„Eine Überzeugung ist nicht bloß eine Idee, die unser Kopf erzeugt, sondern die von ihm Besitz ergreift.“

— ROBERT OXTON BOLTON

 

Das gräuliche Herbstlaub raschelte unter meinen Füßen, als ich den langen Feldweg entlang schritt, der sich vor mir zu erstrecken schien. Genau konnte ich das jedoch nicht sagen, denn der weiße Nebel, der mich wie ein Schleier umgab, verhinderte, dass ich mehr als nur Umrisse in meiner Umgebung erkennen konnte. Das laute Rascheln und das Wehen des Windes ließen mich jedoch erahnen, dass ich mich mitten in einem Wald befand und ich glaubte, Umrisse einer Baumsiedlung am Rand des Weges erkennen zu können. Doch irgendetwas stimmte nicht. Alles hier hatte seine Farbe verloren und ich konnte nicht einmal sagen, ob es am dichten, weißen Nebel lag, der dafür sorgte, dass ich nur noch in Grautönen sah oder ob ich plötzlich farbenblind geworden war. Allerdings reichte allein der Gedanke an letzteres aus, dass Panik in mir aufkeimte und ich drehte mich einmal ziellos um meine eigene Achse. Wo war ich hier eigentlich gelandet und wie war ich hier her gekommen? Ich konnte mich an absolut nichts erinnern und befürchtete fast, dieser schreckliche Nebel hatte sich mittlerweile bis in mein Gehirn ausgebreitet. Eine gruselige Vorstellung…

Leises Gekicher drang plötzlich an meine Ohren und als ich erschrocken herumwedelte, stand auf einmal ein kleines Mädchen neben mir. Auch sie war von Kopf bis Fuß lediglich in graue Farben gehüllt und ich starrte sie erschrocken an. Es gab eigentlich nichts, was an diesem Mädchen erschreckend oder gar gruselig erschien, schließlich war es nur ein kleines Mädchen…

Die langen Haare, die der Wind in alle Richtungen wehte, trug sie zu zwei frechen Zöpfen gebunden und von ihrer Latzhose hatte sich einer der Träger gelöst und hing nun locker an ihr herab. Mit einem faszinierten Blick starrte sie nach oben in den Himmel und obwohl sie nur wenige Zentimeter von mir entfernt stand, schien sie mich nicht einmal ein kleines bisschen zu beachten. Bemerkte sie mich denn nicht?

Ich betrachtete das Mädchen genauer, doch irgendetwas fühlte sich einfach nicht richtig ein. Lag es vielleicht daran, dass sie genauso grau war, wie die Umgebung um mich herum? Graue Haare, graue Augen, graue Haut und selbst der kleine Stoffhase mit den Schlappohren, den sie an sich presste, war einfach nur grau… Doch woher kam dieses merkwürdige Gefühl von Vertrautheit? Ich kannte dieses kleine Mädchen schließlich nicht, oder hatten wir uns schon einmal irgendwo getroffen?

Plötzlich drang ein grauenvolles Brüllen an uns heran und ich zuckte ängstlich zusammen. War das vielleicht ein Wildschwein? Ein Wolf? Oder sogar ein Bär? Ich wusste nicht, wo ich mich hier befand und konnte demzufolge auch nicht wissen, was es hier wohl für wilde Tiere gab und ob sie mir gefährlich werden konnten oder nicht. Aber ich war mir so ziemlich sicher, dass dieses Brüllen nichts Gutes verheißen konnte.

„Wir müssen hier weg“, sagte ich zu dem kleinen Mädchen, jedoch starrte sie weiter nur fasziniert in den Himmel und begann leise vor sich hinzusummen, als würde sie mich nicht einmal wahrnehmen.

„Hörst du nicht? Wir müssen hier weg!“, wiederholte ich, lauter diesmal, doch das Mädchen beachtete mich noch immer nicht. Meine Hand schnellte nach vorne, wollte nach ihr greifen und sie mit mir zurückziehen, nur weg von diesem bedrohlichen Brüllen, doch noch bevor ich sie erreichen konnte, setzte sie sich plötzlich in Bewegung und schlenderte in den dichten, weißen Nebel hinein.

Entsetzt starrte ich auf die Stelle, an der die Kleine kaum eine Sekunde vorher verschwunden war und versuchte zu begreifen, dass sie wirklich gegangen war. Spürte sie denn die Gefahr nicht, die von diesem Ort ausging? Wilde Vögel kreischten plötzlich über meinem Kopf hinweg und als ich dazu noch das laute, ächzende Stöhnen unweit von mir hörte, wusste ich, dass das Grauen das Mädchen bereits gepackt hatte. Es war nun zu ihrem Untergang geworden und bald schon würde es auch der meine werden.

 

Mit einem lauten Schrei schoss ich in die Höhe und stieß mir prompt den Kopf an dem länglichen Holzregal, das über meinem Bett befestigt war. Mit einem lauten Stöhnen sank ich wieder auf mein Kissen zurück und presste mir fluchend die Hand auf meine pochende Stirn. Die dicken Schweißtropfen, die mir noch auf dieser standen, konnte ich dabei auf meiner Handfläche fühlen und ich kämpfte gegen die Angst an, die dieser merkwürdige Traum in mir zurückgelassen hatte.

Ich gehörte eigentlich nicht zu den Menschen, die sich von etwas wie einem Albtraum derart aus der Fassung bringen ließen, aber die Tatsache, dass dieser Traum mich nun so mitnahm, lag wahrscheinlich daran, dass ich noch nicht so richtig wach war.

Als die Schmerzen in meiner Stirn allmählich nachließen, nahm ich die Hand runter und tastete nach meinem kleinen Wecker auf dem Nachttisch. Es dauerte eine Weile, bis ich ihn in der Dunkelheit meines Zimmers gefunden hatte, und mit zusammengekniffenen Augen versuchte ich die rot beleuchteten Zahlen darauf zu erkennen. 4:35 Uhr. Gut, ich hatte also noch ein paar Stunden Zeit, ehe ich aufstehen und mich für die Schule fertig machen musste.

Ich stellte den Wecker also wieder auf seinen Platz und ließ mich laut seufzend zurück in die Kissen sinken. Was für ein merkwürdiger Traum das doch gewesen war…

Plötzlich stutzte ich, als mir auffiel, dass ich mich in meinem Bett befand, jedoch überhaupt keine Ahnung hatte, wie ich hier hergekommen war. Grübelnd zog ich die Brauen zusammen und versuchte mich angestrengt an den vorherigen Abend zu erinnern, jedoch wollte es mir nicht so recht gelingen. Was war nur mit mir los? Hatte ich mir in letzter Zeit den Kopf so oft gestoßen, dass ich nunmehr so verwirrt war, dass diese Leere in meinem Kopf eine langwierige Nebenwirkung dieser groben Behandlung war? Na toll…

Als würde es nicht reichen, dass ich von einem nervigen, unverschämten Dämon verfolgt wurde, jetzt wurde ich also noch von Albträumen heimgesucht und musste mich mit Erinnerungslücken herumschlagen. Als ob ich nicht mittlerweile schon genug gestraft wäre, mit…

Ich blinzelte erschrocken, als mir plötzlich alles wieder einfiel und mit dem Gedanken an einen gewissen rothaarigen Dämon kehrten auch mit einem Mal die Erinnerungen an den letzten Tag zurück. Die übertriebenen Feindseligkeiten der überwiegend weiblichen Schülerschaft, die mir offenbar die Schuld daran gab, dass sie keine Zeit mit dem Rothaarigen verbringen konnte… Die erneuten Hänselleien, die wiederholten Verfolgungsjagden, der Kuss…

Ich spürte, wie mir augenblicklich sämtliches Blut aus dem Körper zu weichen schien, nur um mir anschließend in den Kopf zu steigen und ich konnte ahnen, dass ich im Moment wahrscheinlich roter leuchten musste, als eine rot-blickende Ampel. Wie konnte er mich nur einfach so küssen? Ich hatte ihm doch nun schon mehrfach zu verstehen gegeben, dass ich nicht vorhatte, ihn zu heiraten! Wollte er mich jetzt etwa auf eine ganz andere Art und Weise überzeugen? Wo sollte das alles denn nur hinführen?

Peinlich berührt schlug ich mir die Hand vor die Augen und atmete einmal tief durch. Es stellte zwar kein großes Geheimnis dar, dass ich bisher noch nie so etwas wie einen festen Freund gehabt hatte und somit  auch noch nie geküsst worden war, aber dennoch stellte die Tatsache, meinen ersten Kuss nun auf so eine Art und Weise an irgendeinen Dämon verloren zu haben, meine kleine Traumwelt ziemlich auf den Kopf. Ich war vielleicht etwas naiv, dass ich mich immer noch an kleine, romantische Träumereien klammerte, aber war es denn zu viel verlangt, wenn man für die Person, die man küsste, wenigstens Gefühle hegen wollte?

Ok, ich musste zugeben, dass es wahrscheinlich nicht der schlechteste, erste Kuss gewesen war, der mich hätte erwischen können. Von der Tatsache, dass er ein Dämon war, mal abgesehen, hatte es sich eigentlich ganz gut angefühlt, als seine weichen Lippen auf die meinen trafen. Er hatte einfach so meinen Hinterkopf gepackt und ziemlich grob an sich gezogen, doch der eigentliche Kuss war sanft, fast schon scheu gewesen und diese Mischung wirkte faszinierender auf mich, als wäre er direkt mit aller Leidenschaft über mich hergefallen. Damit wollte ich nicht andeuten, dass ich mir das indirekt wünschen würde… Gott, was dachte ich da schon wieder? War ich etwa nach gerade Mal einem Kuss kurz davor zu einem perversen Kussmonster zu mutieren?

 

Leicht beschämt kniff ich die Augen zusammen und zwang mich auf andere Gedanken zu kommen. Das allerdings gestaltete sich als schwieriger, als zunächst angenommen, denn mein Kopf schien auf merkwürdige Art und Weise wie leergefegt zu sein. Ich konnte mich an absolut gar nichts mehr erinnern, was nach dem Kuss geschehen war. Mir war bewusst, dass er ein Dämon war, doch war es da normal, dass man nach einem Kuss mit einem kompletten Blackout kämpfen musste?

Ich erinnerte mich an den Schwindel und die Energielosigkeit, die mich während des Kusses heimgesucht hatte und begann unruhig an meinen Nägeln herum zu knabbern. Was, wenn er irgendeine Art irdischen Hokuspokus an mir gewirkt hatte und ich war durch den Kuss so abgelenkt gewesen, dass ich es nicht einmal gemerkt hatte? Doch warum sollte er so etwas tun? Er hatte doch gesagt, er würde…

„Du bist also endlich aufgewacht“, hörte ich plötzlich eine bekannte Stimme neben mir sagen und erschrocken fuhr ich zusammen.
„Was machst du hier?“, fauchte ich in die Dunkelheit hinein und hoffte inständig, dass er die Röte in meinem Gesicht nicht sehen konnte. Hatte er mich etwa die ganze Zeit heimlich beobachtet? Wie peinlich…

„Was wohl? Ich habe darauf gewartet, dass du aufwachst. Hätte echt nicht gedacht, dass du so lange schlafen würdest…“

Ich stieß ein frustriertes Seufzen aus, denn seine Antwort warf für mich mehr Fragen auf, als sie eigentlich beantwortete.

„Ich meine damit, warum du hier bist? Oder noch besser: Warum bin ich hier? Und wieso habe ich geschlafen? Ich kann mich einfach an nichts mehr erinnern, seit dem… naja… du weißt schon“, murmelte ich kleinlaut und wurde zum Satzende hin immer leiser. Meine Wangen glühten nahezu, als mir die Hitze in den Kopf stieg und allmählich befürchtete ich, dass mein angeschlagenes Hirn aufgrund des Blutstaus noch langfristige Folgeschäden davontragen würde… Das hieß, wenn mir aufgrund der Hitze nicht vorher noch das Gesicht zerschmolz… Bei meinem Glück konnte man ja nie wissen…

„Du meinst nach dem Kuss?“, fragte er provokant und selbst ohne ihn in der Dunkelheit erkennen zu können, konnte ich anhand seiner Stimmlage hören, dass er breit grinste. Anstatt zu antworten, nickte ich peinlich berührt, wurde mir aber einen Augenblick später darüber bewusst, dass er es gar nicht sehen konnte. Ein erneutes Seufzen kam mir über die Lippen und ich streckte meinen Arm aus, um die kleine Lampe auf meinem Nachtisch anzuschalten.

 

Einen Augenblick später wurde das Zimmer in einen warmen, orangenen Lichtschein gehüllt und ich entdeckte ihn auf meinem Schreibtischstuhl sitzend. Er hatte sich zurück gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt und grinste mir herausfordernd entgegen. Ich konnte nicht anders, als genervt die Augen zu verdrehen, ließ mich zurück in die Kissen sinken und überlegte fiebrig, ob es wohl als große Unfreundlichkeit galt, wenn ich einfach wieder das Licht ausschalten würde…

„Du hast geschlafen, weil du nach dem Kuss ohnmächtig wurdest“, fuhr er plötzlich fort. „Ich habe dich daraufhin hergebracht, weil ich dachte, du würdest wahrscheinlich lieber in deinem eigenen Bett aufwachen, als irgendwo auf dem Schuldach liegend.“

Ich nickte verstehend vor mich hin und war ihm insgeheim dankbar für diese Entscheidung. Denn allein der Gedanke daran, eine ganze Nacht auf dem harten Steinboden des Schuldachs liegen zu müssen, reichte aus, damit mir der Rücken schmerzte.

Allerdings wusste ich immer noch nicht, wieso ich überhaupt ohnmächtig geworden war. Wurde man etwa immer nach einem Kuss mit einem Dämon ohnmächtig oder war es nur beim ersten Mal so? Hatte es vielleicht gar nichts mit dem Kuss selbst zu tun, sondern hatte er vielleicht irgendeine Art Magie oder Fluch an mir gewirkt? Doch warum sollte er das tun?

Ich begann grübelnd an dem Saum meines Ärmels zu spielen, wie ich es immer tat, wenn ich nervös wurde. Der Flanellstoff fühlte sich weich zwischen meinen Fingern an, jedoch stutzte ich einen Moment später, blickte an mir herab und stieß daraufhin ein erschrockenes Keuchen aus. Was hatte ich da eigentlich an? Gewöhnlich trug ich zum Schlafen eine kurze Hose und irgendein weitgeschnittenes T-Shirt, doch heute hatte ich einen langärmlichen Flanellschlafanzug an, der irgendwo in den Tiefen meines Kleiderschrankes geschlummert haben musste und mir irgendwann einmal von meiner Großmutter geschenkt wurde. Er wirkte leicht ausgewaschen in seinem altbackenen Schweinchenrosa, und kleine, weiße Kaninchen sprangen darauf wild umher.

Mit einem Mal schien mir sämtliches Blut wieder aus dem Kopf zu entweichen und mir wurde beinahe schwindelig davon, als ich ihm einen entgeisterten Blick zuwarf.

„Wie?... Was?... Was hast du mit mir gemacht?“, fragte ich geschockt und deutete dabei auf den Stoff, den ich am Leib trug. An für sich war es zwar peinlich genug, in einem solchen Aufzug überhaupt von irgendwem gesehen zu werden, allerdings stellte das nicht einmal mein größtes Problem dar.

„Naja, deine Sachen waren schließlich total durchnässt. Ich dachte mir, so schläft es sich sicherlich bequemer“, meinte er daraufhin schulterzuckend, doch ich schüttelte nur mit dem Kopf.

„Ich meinte damit, wie bin ich hier reingekommen? Du… Du hast doch nicht…“ Ich wagte nicht weiterzusprechen und bedeckte stattdessen meinen Körper mit meinen Händen, als könnte diese simple Geste noch irgendwie bewirken, dass irgendetwas vor seinem Blick verborgen blieb. Das breite Grinsen, das sich plötzlich auf sein Gesicht stahl, bestätigte mich in meiner Vermutung und laut jammernd verkroch ich mich unter meine Bettdecke. Das durfte doch nicht wahr sein! Auch, wenn er es insgeheim sicher nur gut gemeint hatte, so schämte ich mich ungemein dafür, dass er mich einfach so in Unterwäsche gesehen hatte… Oder gar nackt… Gott des Wahnsinns!

Vielleicht sollte ich ja einfach auswandern, untertauchen und irgendwo in der Einöde getarnt als kleines, scheues Bauernmädchen ein neues, strenggläubiges Leben in einem Kloster beginnen… Das alles in der Hoffnung, dass dieser Dämon mich dort niemals finden würde!

 

Ich kam jedoch nicht dazu, weiter über diesen durchaus verlockenden Gedanken nachzudenken, denn schon im nächsten Moment wurde mir mit einer ruckartigen Bewegung die schützende Decke vor der Nase weggeschnappt. Die allmorgendliche Kälte umfing mich, als sich die angestaute Wärme, die sich in meinem molligem Kokon gebildet hatte, verflüchtigte und wütend blickte ich zu dem Ungeheuer auf, das mich in unbändiger Grausamkeit einfach so meines Schutzschildes entmachtet hatte.

„Gib sie wieder her“, fauchte ich und wollte gerade nach meiner Decke greifen, als er sie jedoch in hohem Boden durch das halbe Zimmer warf und sich nach wie vor breit grinsend zu mir auf die Bettkante setzte. Seine linke Hand legte er mir dabei schon beinahe zärtlich an die Wange, doch ich zuckte davor zurück, wie der Teufel vor dem Weihwasser.

„Warum bringt dich das so auf die Palme?“, fragte er mit einem unschuldigen Unterton in der Stimme und die aufkeimende Scham trieb mir erneut die Röte ins Gesicht. Wenn ich nicht bereits gewusst hätte, dass er ein waschechter Dämon war, hätte ich diese Rückschlüsse allerspätestens jetzt getroffen! Das war doch die reinste Folter, selbst als Dämon war das einfach eine Nummer zu viel des Guten.

„Mir gefällt zwar die Art, wie du denkst, aber du machst dir unnötige Gedanken deswegen. Es gibt eine wesentlich einfachere Art und Weise dich umzuziehen“, meinte er leichtfertig und schnipste plötzlich mit dem Finger. Ich zuckte panisch zusammen, als mit einmal ein merkwürdiger Ruck durch meinen Körper ging und mich einmal kräftig durchschüttelte, wie ein Überraschungsei, das gerade von einem kleinen Kind neugierig auf seinen Inhalt geprüft wurde.

Als ich mich letztendlich wieder fing, glitt mein Blick argwöhnisch an meinem Körper herab und mir stockte der Atem. Ohne mich auch nur mit einem Finger zu berühren, hatte er mir in Sekundenschnelle ein neues Outfit verpasst. Verwundert strich ich über den blauen, seidigen Stoff des enganliegenden Tops, das er mir gezaubert hatte und zog einmal etwas skeptisch an dem walligen, orangefarbenen Rock, der meine Beine ungefähr bis zu den Knien bedeckte. Ich war mir ziemlich sicher, dass diese Kleidungsstücke nicht zum gewöhnlichen Inhalt meines Kleiderschrankes gehörten, doch ich verspürte auch nicht das Verlangen mich deswegen zu beschweren. Sie waren schließlich wirklich hübsch.

Verstohlen warf ich dem Rothaarigen neben mir einen misstrauischen Blick zu. Sollte es also stimmen? Hatte er die Situation wirklich nicht ausgenutzt und mich stattdessen lediglich auf diese, höchst unkonventionelle Art umgezogen? Doch würde er sich eine solche Gelegenheit tatsächlich entgehen lassen? Ich kannte ihn bisher gerade Mal seit zwei Tagen und in dieser kurzen Zeit war er mir jedoch wahrlich nicht gerade positiv aufgefallen. Er tauchte stets und ständig einfach so in meiner Nähe auf, ohne dabei Rücksicht auf mein Umfeld oder gar meine Privatsphäre zu nehmen, machte dazu immerzu peinliche, zweideutige Andeutungen, die mich als verklemmte Jungfer regelmäßig aus der Bahn warfen und obendrein sprach er unentwegt davon, mich so schnell wie möglich heiraten zu wollen. Als würde ich allen Ernstes auch noch seine Frau werden, nachdem er…

 

Ich erstarrte mitten in der Bewegung und meine Augen weiteten sich, als sich endlich das letzte Puzzlestück an seinen Platz setzte. Wie nur hatte ich DAS vergessen können? Noch ehe ich den Gedanken vollends zu Ende geführt hatte, war ich auch bereits mit einem Satz aus dem Bett gesprungen und sprintete so schnell mich meine Beine trugen durch mein Zimmer zur Tür hinüber. Ich spürte zwar seinen verwirrten Blick im Rücken, doch dem konnte ich gerade keine Beachtung schenken. Stattdessen riss ich die Tür auf und flitzte durch den immer noch dunklen Flur hinüber zum Badezimmer. Dort angekommen schaltete ich im vorbeieilen das Licht an und kam schlitternd vor unserer großen Spiegelfront zum Stehen.

Meine Augen hatten die Reflexion im Spiegel noch gar nicht so richtig verarbeitet, als ich jedoch bereits erschrocken nach Luft schnappte und entsetzt mein Spiegelbild betrachtete. Konnte das wirklich wahr sein?

Das Mädchen, das mir aus dem Spiegel entgegenblickte, war das Gleiche, dass ich noch vor zwei Tagen für einen kurzen Augenblick darin hatte erkennen können. Die langen Haare hingen mir nicht länger matt und leblos ins Gesicht, sondern fielen mir nun in voluminösen Wellen über die Schultern und das sonst so fahle Orange schien beinahe als wäre es zu neuem Leben erwacht. Die diversen Mondkrater waren aus meinem Gesicht verschwunden und meine Haut wirkte reiner denn je, als hätte ich die Pubertät schon seit vielen, vielen Jahren hinter mir. Die nun leicht geschwungene Nase besaß Ansätze einer kleinen Stupsnase und von dem vorherigen riesigen Klumpen, der an dieser Stelle geprangt hatte, war nichts mehr zu sehen. Die nun hellen, strahlendblauen Augen schienen endlich ihre Lebensfreude wiedergefunden zu haben und hinter den brennenden Freudentrännen, die sich allmählich darin sammelten, funkelten sie regelrecht.

Nervös schloss ich meine Augen und atmete einmal tief ein, nur um sie anschließend wieder zu öffnen und erneut einen prüfenden Blick in den Spiegel zu werfen. Ich rechnete schon beinahe damit, wieder die alte, hässliche Hülle darin wiederzufinden, doch mein Spiegelbild war nach wie vor das Gleiche. Konnte es also sein, dass er wirklich sein Versprechen gehalten und den Fluch gelöst hatte? Hatte er das wirklich getan? Oder war es wieder nur eine Art grausamer Scherz, der mich unnötigerweise Hoffnung schöpfen lassen sollte?

 

„Du hast es also endlich bemerkt“, hörte ich ihn mit seiner tiefen, leicht rauchigen Stimme hinter mir sagen und mit einer Mischung aus Rührung und Dankbarkeit drehte ich mich zu ihm um.

„Ja“, hauchte ich leise und starrte ihn ungläubig an. „Du… Du hast ihn wirklich aufgehoben? Das ist kein makabrer Scherz oder etwas in der Art?“

Mein Blick huschte unsicher zwischen ihm und meinem Spiegelbild hin und her und ängstlich rechnete ich schon fast damit, dass sich die Person darin wieder in die alte, hässliche Hülle verwandeln würde, die ich leider nur zu gut kannte. Doch zu meiner Verwunderung geschah dieses Mal nichts.

„Wie du siehst“, erwiderte er jedoch nur und der kalte Unterton in seiner Stimme überraschte mich. „Ich hoffe, du bist nun zufrieden.“ Mit verschränkten Armen vor der Brust wandte er sich von mir ab und starrte gleichgültig aus dem Fenster. Was war denn plötzlich in ihn gefahren? Hatte ich irgendwas gesagt oder getan, das ihn sauer gemacht hatte? Leicht nervös betrachtete ich ihn, wie er beinahe schon mit verbissenem Blick durch die Scheibe nach draußen starrte, als würde er mich gar nicht weiter neben sich bemerken. Mit verschränkten Armen lehnte er an unserem braunen Türrahmen und auch, wenn er dabei eine lässige, fast schon coole Haltung hatte, so wirkte er irgendwie… angespannt.

„Du weißt hoffentlich, was das nun für dich bedeutet“, sagte er, ohne mich dabei anzusehen, und die anfängliche Beunruhigung, die sein Verhalten in mir ausgelöst hatte, wich dem altbekannten Argwohn, als ich mir die Antwort bereits bestens vorstellen konnte. Ich verdrehte leicht genervt die Augen und wartete geduldig darauf, dass er wieder einmal zu seinem üblichen „Du-hast-mir-ein-Versprechen-gegeben-also-heirate-mich“-Gelaber ansetzte, doch überraschenderweise tat er das gar nicht. Stattdessen machte er ohne Vorwarnung einen großen Satz auf mich zu und mir entwich ein erschrockenes Quicken, als er links und rechts eine Hand neben meinem Kopf platzierte und mir somit jegliche Chance auf einen plötzlichen Rückzug nahm. Ich fühlte mich unbehaglich, eingesperrt wie ein Reh in der Falle und mein Unbehagen nahm auch noch zu, als sich wieder dieses selbstgefällige, breite Grinsen auf sein Gesicht stahl. Was hatte er denn nun schon wieder vor?

Von Sekunde zu Sekunde kam er mir immer näher und ich konnte nahezu spüren, wie wild mein Herz in meiner Brust hämmerte, als mir gleichzeitig heiß und kalt wurde. Ich war nicht an solche Nähe gewöhnt, denn sie verunsicherte mich, machte mir Angst. Und doch spürte ich nicht nur diese Furcht in mir, sondern auch Aufregung, fast schon Leidenschaft und bei diesem ganzen Gefühlschaos, war ich mir beinahe sicher, dass mich jede Sekunde die Ohnmacht einholen müsste. Und wenn es nicht die ersehnte Ohnmacht wäre, dann käme nur der Herzinfarkt in Frage. Und hätte der Fuchs nicht geschissen, dann hätte er den Hasen bekommen ...

Was für bekloppte Sprichwörter fielen mir denn nun schon wieder ein???

Aber es stimmte, ich war ein Fluchttier, wie der Hase, mit Leib und Seele. Und Castiel in dem Fall das Raubtier, der Fuchs, nur dass er aufpasste und nicht anderweitig beschäftigt war. Je länger er sich Zeit ließ und je näher er mir dabei kam, desto mehr wollte ich einfach nur noch flüchten, wegrennen und mich irgendwo verstecken. Doch ich konnte nicht. Er hielt mich in Schach und ließ sich dabei kein bisschen aus der Ruhe bringen. Gott des Wahnsinns, er würde mich doch nicht etwa wieder küssen wollen?

Doch noch ehe ich diesen Gedanken vollends zuende denken konnte, glitt sein Gesicht bereits an dem meinen vorbei und er verharrte erst, als seine Lippen direkt neben meinem Ohr zum Stillstand kamen. Sein heißer Atem streifte die empfindlichen Härrchen an dieser Stelle und sorgte dafür, dass unweigerlich eine prickelnde Gänsehaut meinen Körper überzog.

„Ich werde dich nicht mehr aus den Augen lassen“, raunte er leise, doch ich wusste nicht einmal, ob es sich dabei einfach um einen Vorsatz oder gar um eine Drohung handelte. Wie also sollte ich darauf nun reagieren?

Mein Kopf sagte mir, dass es wohl das Schlauste wäre, ihn hier und jetzt einfach von mir zu stoßen und schleunigst das Weite zu suchen, doch irgendwas in mir sträubte sich gegen diesen Gedanken. Er mochte ein Dämon sein, kalt, arrogant und egoistisch, doch war er wirklich eine so schreckliche Person, wie ich mir bisher immer eingeredet hatte?

Ja, er hatte mich vor vielen Jahren mit einem Fluch belegt, der mein Leben bisher maßgeblich bestimmt und mich des Öfteren in tiefe Verzweiflung und Traurigkeit gestürzt hatte. Doch hatte er mir nicht auch gezeigt, dass er die Menschen lediglich nicht richtig einzuschätzen wusste und dass es gar nicht seine Absicht gewesen war, mir damit wirklich ernsthaft zu schaden? Schließlich hatte er, nachdem er sich über die Konsequenzen seines Fluches bewusst wurde, keinen Augenblick gezögert und diesen direkt aufgehoben.

War es nicht also nun an mir gelegen, einen Schritt auf ihn zuzugehen und mich für diese Handlung erkenntlich zu zeigen? Auch, wenn ich zwar nicht vorhatte, mich nun einfach so zu ergeben und ihn zu heiraten, wie er es wollte, so wäre es doch vielleicht gar nicht so verkehrt, ihn in seinem Vorhaben ein wenig entgegenzukommen. Ich war mir zwar ziemlich sicher, dass es ihm wieder einmal lediglich darum ging, meine Unschuld zu beschützen und er mir deswegen nahe sein wollte, doch was machte es schon für einen Unterschied, ob er mich erneut einfach so verfolgen und sich in mein Leben drängen oder ob ich dem Ganzen einfach zustimmen würde? Letztendlich würde er ohnehin wieder so handeln, wie er wollte und eventuell konnte ich bei einem Entgegenkommen ja sogar erreichen, dass er mir wenigstens ein bisschen Privatsphäre gönnte…

 

„Ok“, sagte ich schließlich leise und wandte leicht meinen Kopf zur Seite, um ihm ins Gesicht zu schauen, doch das war gar nicht mehr nötig. Scheinbar hatte ihn meine plötzliche Reaktion dermaßen aus der Bahn geworfen, dass er plötzlich so überrascht vor mir zurück schreckte, als hätte ich ihm direkt in die Hand gebissen.

„Ok?“, fragte er sichtlich erstaunt und sah mich dabei so ungläubig an, als wäre mir gerade eben ein riesiger, sprechender Pickel im Gesicht gewachsen.

„Ja, ok“, bestätigte ich erneut und zuckte daraufhin belanglos mit den Schultern. „Es bringt ja doch nichts, wenn ich mich wieder deswegen aufrege, du machst ja doch, was du willst. Außerdem…“, erklärte ich leise und ein kleines, versöhnliches Lächeln schlich sich dabei auf meine Züge, als ich einen Schritt auf ihn zumachte.  „…bist du mir ja auch ein Stückchen entgegengekommen. Du hast diesen Fluch aufgehoben, obwohl du es eigentlich nicht vorhattest und… ich bin dir sehr dankbar dafür“, gestand ich ihm lächelnd, jedoch fiel seine Reaktion daraufhin eher bescheiden aus. Auch, wenn ich jetzt nicht gerade den Gefühlsausbruch des Jahrhunderts erwartet hatte, so hatte ich zumindest angenommen, dass er sich über ein Entgegenkommen meinerseits freuen würde. Doch stattdessen starrte er mich an, als hätte ich mich direkt vor seinen Augen in einen Pfeife-rauchenden, rosa Elefanten verwandelt. Einfach nur wunderbar, diesem Kerl konnte man es aber auch gar nicht recht machen…

Ich beobachtete ihn noch ein paar Augenblicke, wie er einfach erstarrt vor mir stand und als ich gerade schon befürchtete, meine Reaktion hätte irgendeine überlebenswichtige Synapse in seinem Hirn durchbrennen lassen, löste er sich allmählich wieder aus seiner Starre. Etwas verlegen kratzte er sich am Hinterkopf und meinte: „Ehm….ok. Dann ist ja gut.“

Ich wandte mich nur kopfschüttelnd wieder von ihm ab, denn es war mir absolut unverständlich, wie er mein ganzes Gefauche und Gezicke kommentarlos ertragen konnte, jedoch mit einem einzigen freundlichem Wort meinerseits direkt überfordert zu sein schien. Verstand einer diesen Dämon…

Ich drehte mich wieder zu unserer großen Spiegelfront um und warf erneut einen skeptischen Blick hinein. Es hatte sich nach wie vor noch nichts verändert, aber es fühlte sich unglaublich merkwürdig an, einfach eine andere Person im Spiegelbild zu erkennen. Wahrscheinlich würde es eine Weile dauern, ehe ich mich an diesen noch leicht befremdlichen Anblick gewöhnt hatte, aber die Zeit der Gewöhnung nahm ich dabei gerne in Kauf. Denn endlich war es geschehen, mein Wunsch hatte sich erfüllt und ich war nicht länger in dieser hässlichen Hülle gefangen, die mein Leben bisher so maßgeblich bestimmt hatte. Ich konnte es immer noch nicht so recht fassen und leise Zweifel in meinem Kopf meldeten sich immer wieder zu Wort, versuchten mir einzureden, dass es sich hierbei wieder nur um einen Traum handeln könnte. Aber ich verdrängte diese Bedenken fürs Erste und entschied, mich nun einfach dieser Traumvorstellung hinzugeben…

Doch würde es nun auch so sein, wie ich es mir immer ausgemalt hatte?

Würden die anderen mich nun akzeptieren, vielleicht sogar mögen oder wäre es für sie so, als hätte sich nie etwas geändert? Ich stutzte, als ich genauer über diesen Gedanken nachdachte und eine schlimme Vorahnung beschlich mich. Was, wenn dieser Fluch soweit nur für mich selbst aufgehoben war und alle anderen weiterhin die hässliche Hülle sahen? Doch beim genaueren Nachdenken verwarf ich diese Überlegung wieder, denn ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was für ein Sinn die Aufhebung des Fluches dann gemacht hätte.

Allerdings fiel mir im Moment auch keine plausible Ausrede dafür ein, wie ich mich in gerade Mal so kurzer Zeit derart hatte verändern können. Wie nur sollte ich den Anderen meine Veränderung erklären?

Sollte ich ihnen sagen, dass ich mich innerhalb der letzten paar Stunden diversen Schönheitsoperationen unterzogen hatte und diese nun bewirkten, dass ich mich über Nacht nahezu in einen neuen Menschen verwandelt hatte? Doch würden sie mir das überhaupt abnehmen? Schönheitsoperationen verheilten schließlich nicht von heute auf morgen und ich hatte nicht einmal Ansätze einer Schwellung oder dergleichen vorzuweisen, die meine Argumentation unterstreichen würde. Ob ich mich vielleicht ein paar Tage krankschreiben lassen sollte, damit meine Ausreden auch wenigstens nachvollziehbar waren?

Ich hob geistesabwesend die Hand an die Lippen und begann wieder, nervös an meinen Fingernägeln zu kauen, als ich fiebrig nach einer Lösung für dieses Problem suchte. Eine nervige Angewohnheit meinerseits, die ich wahrscheinlich nie vollends ablegen würde.

 

„Was überlegst du?“, riss mich Castiels Stimme schließlich aus meinen Gedanken und ich warf seinem Spiegelbild einen verunsicherten Blick zu. Er lehnte an der weiß gefliesten Wand hinter mir, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und betrachtete mich erwartungsvoll. Ich zuckte daraufhin jedoch nur ratlos mit den Schultern, drehte mich leicht seufzend zu ihm um, ehe es jedoch auch schon aus mir heraussprudelte: „Ich weiß auch nicht so ganz, aber… Naja… Wie genau soll ich meine plötzliche Veränderung denn nun erklären? Den Leuten wird auffallen, dass ich mich um 180° gedreht habe und nun ganz anders aussehe. Was soll ich ihnen antworten, wenn sie Fragen stellen? Und was soll ich meinen Freunden sagen? Ich würde sie wahrlich nur ungern anlügen, sie haben immer zu mir gestanden und mich nicht verurteilt für das, was ich bin-… war. Doch ich kann ihnen auch unmöglich die Wahrheit sagen, sie würden mich doch für total verrückt halten, wenn ich ihnen gestehe, dass du ein Dämon bist und ich bisher nur aufgrund eines Fluches so ausgesehen habe. Ich will sie nicht verschrecken, aber- “, „Nun beruhig dich mal wieder“, unterbrach er meinen atemlosen Redefluss barsch und fragend sah ich zu ihm auf.

„Du machst es schon wieder… Du machst dir wieder viel zu viele Gedanken um nichts“, erklärte er einfach und rollte dabei mit den Augen, als wäre die Lösung doch absolut offensichtlich. „Niemand wird sich an dein altes Aussehen erinnern. Für alle anderen ist es so, als hättest du schon immer genau so ausgesehen.“

Ich blinzelte überrascht, als ich das hörte, runzelte jedoch anschließend verwirrt die Stirn und meinte: „Aber das geht doch gar nicht. Du kannst unmöglich so viele Menschen auf einmal täuschen.“

Er zuckte daraufhin jedoch nur gelangweilt mit den Schultern, ehe er einwarf: „Das ist gar nicht so schwer. Menschen sind dumm und lassen sich leicht täuschen, daher sind ihre Gedanken, Erinnerungen und Gefühle ziemlich einfach zu manipulieren, wenn man will.“

Ich starrte ihn einen kurzen Moment sprachlos an und versuchte, seine Worte erst einmal sacken zu lassen. Wenn es wirklich so einfach war und er Menschen manipulieren konnte, wie er lieb und lustig war, dann verstand ich nicht wirklich, weshalb er seine Kräfte bisher scheinbar nicht weiter an mir angewandt hatte. Es wäre doch somit schließlich ein Einfaches für ihn, mich dazu zu bringen, ihn zu heiraten, oder nicht? „Wenn man will“- hatte er gesagt… Sollte das etwa bedeuten, dass er gar nicht vorhatte, früher oder später seine Kräfte bei mir einzusetzen, um mich dazu zu bringen, ihn heiraten zu wollen? Doch war das letztendlich lediglich ein Akt des Stolzes, der wollte, dass ich ihm früher oder später freiwillig verfallen würde? Oder konnte es sich seinerseits wirklich um eine Art Wunsch handeln, bei dem er auf ganz natürlichem Wege diese merkwürdige menschlich-dämonische Beziehung weiter ausbauen wollte? Doch warum sollte er das tun?

Wenn diese Beziehung ihm wirklich so wichtig war, musste doch etwas sehr Bedeutungsvolles zwischen uns geschehen sein… So etwas konnte ich dann doch unmöglich vergessen, geschweige denn verdrängt haben…

Der Kopf begann mir schon regelrecht zu qualmen, als ich fiebrig versuchte mir einen Reim auf sein ganzes, merkwürdiges Verhalten zu machen, doch ich beschloss letztendlich die ganze Sache vorerst beiseite zu schieben. Es brachte nichts, wenn ich mir weiter das Hirn darüber zermarterte, wenn mir jedoch vorerst etwas viel Wichtigeres bevorstand.

 

Denn wenn er recht behielt und es wirklich für jeden so wäre, als hätte ich bereits immer so ausgesehen, dann hatte er damit unbewusst viel mehr für mich getan, als er wahrscheinlich zunächst ahnte. Er hätte mich somit nämlich nicht nur von diesem Fluch befreit, sondern mir nichts ahnend auch den Weg in ein neues Leben, ohne Erinnerungen an die demütige Zeit des Mobbings und der Schikanen, beschert. Ein leichtes Lächeln legte sich auf meine Züge, denn ein neuer Abschnitt hatte begonnen und ich nahm mir fest vor, das Beste daraus zu machen.


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Kommentare: 1
  • #1

    Blablagirl (Samstag, 08 April 2017 16:35)

    was für ein schöner Kapitel...
    obwohl...,
    dass mit dem Mädchen sehr unheimlich ist.
    LG: Blablagirl